13. Alzheimer Tag Thüringen

Mit Margot Arendt und Doreen Seidler von der Alzheimer Gesellschaft Thüringen
Am 21. September ist der internationale Alzheimer-Tag. An diesem Tag wird der Blickpunkt auf die heimtückische Krankheit gerichtet, von der immer mehr Menschen betroffen sind. Alzheimer ist eine Krankheit, bei der das Erkrankungsrisiko steigt, je älter die Menschen werden. 1950 gab es in der Bundesrepublik rund 7.000 Menschen, die älter als 90 Jahre waren. Heute sind es rund 700.000. Das Hauptrisiko an Demenz oder Alzheimer zu erkranken ist das Alter. Bewegung, kein Tabak und mediterrane Ernährung, aber auch Kaffee dienen der Prävention. Rund dreiviertel der Betroffenen werden von ihren Angehörigen (meist der Partner, die Tochter oder die Schwiegertochter) zu Hause betreut. Aber jeder 5. über 60 ist heute Single und in 20 Jahren wird es jeder zweite sein. Wie vor diesem Hintergrund die Pflege und Betreuung organisiert werden kann, ist eines der wichtigen Themen, denen sich die Alzheimergesellschaft widmet. Dazu hat die Alzheimer Gesellschaft den 13. Alzheimer Tag Thüringen am Samstag im Mon Ami in Weimar organisiert. Seit vielen Jahren arbeite ich eng mit der Alzheimer Gesellschaft zusammen und bin drei bis vier Mal im Jahr bei Veranstaltungen zu Gast. Über 100 interessierte Gäste nutzten das Programm des Alzheimer Tages um sich zu informieren und zu diskutieren. Ich habe für das Sozialministerium ein Grußwort gehalten, bei dem ich neben den vielen Erfolgen der letzten Jahre auch auf die anstehenden Aufgaben verwiesen habe.  

Arnstädter Alzheimer Tag

Seit sieben Jahren gibt es in Arnstadt die Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz. Nadine Lopuszanski, die Leiterin der Pro Seniore Residenz am Dornheimer Berg hat die Selbshilfegruppe mit initiiert und heute fand in den Räumen der Pro Seniore Residenz der 1. Arnstädter Selbsthilfetag statt. Als Beauftragter des Freistaats Thüringen für das Zusammenleben der Generationen habe ich gerne bei der Veranstaltung ein Grußwort zum Thema gehalten. Für mich verbinden sich mit dem Thema Demenz mehrere Aspekte: Der erste Aspekt ist die Aufgabe, den jüngeren Generationen immer wieder klar zu machen, dass jegliche klischeehafte Gleichsetzung von Alter und Demenz falsch ist. Sicher steigt nach den Statistiken das Risiko zu erkranken mit dem Alter, aber dennoch ist es nicht das schicksalhafte Los der Mehrheit der Seniorinnen und Senioren. In den Mediendarstellungen wird allerdings nicht immer ausreichend deutlich, dass z.B. bis zum Alter von 80 Jahren das Risiko einen Wert von 7% nicht übersteigt. Das Klischee trifft aber alle älteren Menschen, mit seiner Tendenz sie von der aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auszuschließen, ihnen gesonderte Refugien zuzuweisen und nichts mehr von ihnen zu erwarten. Aber so wird diese klischeehafte Haltung selbst zum Risikofaktor, denn das Gefühl abgestempelt und abgeschoben zu sein, kann auf keinen Fall hilfreich sein. Der zweite Aspekt im Zusammenhang mit Demenz heißt, zwar nicht falsche Klischees bedienen, aber dennoch die Aufgabe nicht kleinreden. Die Verschiebung in der Altersstruktur der Generationen, der sogenannte demografische Wandel, bringt es ganz einfach mit sich dass die absoluten Zahlen der Betroffenen deutlich ansteigen werden. Es wird nicht bei den rund 37.000 Menschen mit einer Demenzerkrankung in Thüringen bleiben, von denen man jetzt ausgeht. Dazu müssen im Pflegebereich die richtigen Antworten gefunden werden. Die jüngsten Reformschritte in der Pflegeversicherung gehen dabei in die richtige Richtung. Wir müssen wegkommen von einer Situation, in der nur die Defizite gesehen werden und man in der sogenannten „Minutenpflege“ versucht, mit der Stoppuhr in der Hand den Unterstützungsbedarf zu messen, sondern auch und gerade für demenziell Erkrankte den Zuwendungsbedarf viel stärker in den Blick nehmen. Die Bundesregierung hat genau vor einer Woche beschlossen, den Entwurf des 1. Pflegestärkungsgesetzes in den Bundestag einzubringen, mit dem Ziel, dass es zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Menschen in der sogenannten Pflegestufe 0, also vor allem Demenzkranke, werden erstmals Anspruch auf Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege erhalten. Niedrigschwellige Angebote sollen durch die Einführung neuer zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen gestärkt werden, etwa für Hilfe im Haushalt oder Alltagsbegleiter und ehrenamtliche Helfer.

Erfreulich ist auch, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff mit seinen 5 Pflegestufen nach langer Diskussion seiner Realisierung näher rückt.

Ab Sommer soll in zwei Modellprojekten bundesweit erprobt werden, wie ein neues Begutachtungsverfahren, das nun auch geistige Defizite einbezieht, funktionieren kann.

An diesen Reformschritten wir ein weiterer Aspekt deutlich, der mir in diesem Zusammenhang wichtig ist, die Differenzierung. Gegen falsche Klischees und gegen ein Erschrecken vor der Größe der Aufgabe hilft ein differenzierter Blick. Demenzerkrankungen haben nun einmal die verschiedensten Ursachen, Verläufe und Schweregrade. Und damit komme ich zum letzten Aspekt: Differenzierung heißt für mich auch, wir müssen noch stärker auf die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen hören, wo sie selbst Stärken und Schwächen sehen. Bei Stärken denke ich zum Beispiel an die Ausstellung von Kunstwerken von Menschen mit Demenz vor zwei Jahren, bei deren Eröffnung der Künstler Lothar Krone seine Werke erläuterte, oder an die Lesung von Helga Rohra aus ihrem Buch „Aus dem Schatten treten“. Bei Stärken denke ich auch an die Angehörigen, die nach wie vor den größten Teil der Pflege leisten, eine im wahrsten Sinne des Wortes „starke Leistung“. Aber dafür verdienen sie nicht nur Dank und Anerkennung, sondern auch die Unterstützung, die sie brauchen. Wie es zum Beispiel Frau Prof. Wilz an der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Kooperation mit der Deutsche Alzheimer Gesellschaft erforscht, in einer Studie zur telefonischen Beratung von pflegenden Angehörigen durch qualifizierte Psychologen. Wie kaum anders zu erwarten, zeigte sich bereits in der ersten Phase der Studie, wie groß die Gefahr sein kann, durch die volle Konzentration auf die Pflegeaufgabe das eigene Wohlergehen zu vernachlässigen und soziale Kontakte einzuschränken.

Fachtag „Ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz“

Auf ausgesprochen großes Interesse stieß gestern der Fachtag der Alzheimer Gesellschaft Thüringen e.V. zum Thema „Ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz“. Gut 90 Teilnehmer waren der Einladung in die Bildungsstätte St. Martin gefolgt zu einem Thema, welches vor dem Hintergrund steigender Zahlen von Menschen mit Pflegebedarf, bzw. Demenzkranken zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Sozialministerin Heike Taubert verwies ebenso wie die Erfurter Amtsärztin Dr. Peter auf die aktuellen Zahlen. 1,3 Millionen Demenzkranke gibt es in Deutschland, rund 40.000 in Thüringen und rund 3.200 in Erfurt. 2/3 von ihnen befinden sich in der sogenannten Angehörigenpflege und da steigt die Bedeutung von Wohngruppenkonzepten. 42 Demenz-WGs gibt es in Thüringen, die meisten in Jena (allein 12), aber auch in Suhl, dem Saale-Orla-Kreis und Weimar. Kaum Angebote gibt es hingegen in Nordthüringen und in Erfurt. Margot Arendt, Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Thüringen, erläuterte, dass lediglich 7 Prozent der befragten älteren Menschen im Pflegefall in ein Heim wollen. Stattdessen präferieren Männer überwiegend das häusliche Umfeld und Frauen häufiger Wohngemeinschaften. Werner Futterlieb von der Alzheimer Gesellschaft Brandenburg verwies darauf, dass es sich grundsätzlich nicht unterscheidet, was ältere Menschen und Menschen mit Demenz brauchen. Im Mittelpunkt soll das Gefühl stehen gebraucht zu werden. Menschen mit Demenz müssen gut ausdiagnostiziert werden und sie brauchen professionelle Pflegebegleiter. Den Rahmen in Thüringen soll dazu für den baulichen Bereich das Wohn- und Teilhabegesetz bilden, wie Dieter Schnellbach vom TMSFG erklärte. 21.578 Pflegeheimplätze gab es per 1. Oktober 2012 in Thüringen. Über 78.000 Pflegebedürftige gibt es und insofern sind die 42 Demenz-WGs nur ein sehr kleiner Teil, der Betreuungs- und Pflegelandschaft. Die Landesförderung für diesen Bereich ist mit 300.000 Euro zu verzeichnen und die Pflegekassen geben noch einmal die gleiche Summe hinzu. Perspektivisch soll das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz helfen. Seit dem 1.11.2012 ist es in Kraft. Bärbel Schmidt von der AOK Plus erläuterte die einzelnen Paragrafen. Bis zu 10.000 Euro können gefördert werden, wenn Pflege-WG entstehen und Wohnungsumbauten notwendig sind. Mehrere gelungene Einzelbeispiele präsentierten sich gestern Nachmittag und machten Mut, dass sich in diesem Bereich mehr entwickelt. Bei der Podiumsdiskussion konnte ich gemeinsam mit den anderen Referenten eine Lanze für die Position brechen, dass das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz eine wichtiger Schritt nach vorne ist. Aber wir wissen auch, dass jede Mehrleistung auch finanziert werden muss. Derzeit reicht die Anpassung des Beitragssatzes nur bis 2015. Es gibt Mehrleistungen in allen Pflegestufen insbesondere für die ambulante Pflege, aber es muss auch noch mehr passieren. Der Thüringer Pflegepakt wurde von der Sozialministerin, von Pflegekassen, der Liga und der kommunalen Seite unterschrieben. Diese Absichtserklärung muss nun mit Leben gefüllt werden. Ein großes Dankeschön an Doreen Seidler von der Alzheimer Gesellschaft, die mit ihrem team die gestrige gelungene Fachtagung organisiert hat. Bereits kommende Woche werde ich wieder aktiv dabei sein, wenn wir ein Erfurter Netzwerk Demenz gründen. Nachfolgend der Text vom Pflegepakt:   Thüringer Pflegepakt Eine Initiative von: Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie Gemeinde- und Städtebund Thüringen e.V. Thüringischer Landkreistag e.V. LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen e.V. Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e.V. AOK PLUS IKK classic BKK Landesverband Mitte Knappschaft Bahn See vdek – Verband der Ersatzkassen e.V.   Zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen, wirtschaftlich angemessenen Pflegeversorgung in Thüringen und zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen verfolgen Landesregierung, Leistungserbringer und Kostenträger partnerschaftlich folgende Ziele: Höhere gesellschaftliche Akzeptanz – Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe Das Maß der Menschlichkeit einer Gesellschaft bemisst sich auch und vor allem am Umgang mit von Krankheit und Pflegebedürftigkeit betroffenen Menschen. Die Sicherung einer guten Pflege ist ein wichtiger gesellschaftlicher Wert – und Pflege hat ihren Wert. Dementsprechend gilt es, die Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen. Die Bürger und Bürgerinnen des Freistaats werden mittels einer breit angelegten Imagekampagne für die Komplexität und den gesellschaftlichen Wert der Pflege sensibilisiert und über die verbesserten Rahmenbedingungen in der Pflege informiert. Bessere Rahmen- und Beschäftigungsbedingungen in der Altenpflege Die Vertrags– und Vergütungsverhandlungen erfolgen entsprechend der rechtlichen Rahmenbedingungen. Hierbei pflegen die Vereinbarungspartner einen fairen und partnerschaftlichen Umgang mit dem Ziel, gemeinsam zügige und ausgewogene Lösungen zu finden. Ziel sind wirtschaftlich angemessene Pflegevergütungen, um so steigenden Personalkosten in der Pflege Rechnung zu tragen. Es wird angestrebt, dass die Pflegevergütungen signifikant und schrittweise erhöht werden, um die Abwanderung von Pflegefachkräften zu vermeiden. Dazu ist ein konkurrenzfähiges Lohnniveau notwendig, um gegenüber anderen Regionen und Branchen bestehen zu können. Angestrebt werden tariflich geregelte Arbeitsverhältnisse und eine den qualitativen und organisatorischen Erfordernissen der Einrichtungen und Dienste sowie den Interessen der Beschäftigten entsprechende Erhöhung des Anteils der Vollbeschäftigungsverhältnisse, weiterhin die Reduzierung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse und des Einsatzes von Leiharbeit. Weitere wichtige Ziele sind die Schaffung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen sowie die für den Einsatz älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderliche spezifische Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsabläufen. Verbesserung der Personal- und Nachwuchsgewinnung und Qualifizierung Die Gewährleistung einer angemessenen Ausbildungsvergütung, die Förderung des dritten Umschulungsjahres, die Übernahme des Schulgeldes für alle Umschülerinnen und Umschüler, die bedarfsgerechte Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, ein intensiverer Einsatz von Fachkräften einschließlich der erforderlichen Freistellung in der Praxisausbildung, die bedarfsgerechte Unterstützung der Auszubildenden in der theoretischen Ausbildung sowie verbesserte Rahmenbedingungen für die Weiterbildung von Hilfskräften zu Fachkräften und die Förderung Benachteiligter sollen für attraktivere Ausbildungsbedingungen sorgen. Durch attraktivere Beschäftigungsbedingungen soll die Abwanderung der Fachkräfte in andere Regionen und Branchen verhindert werden. Die Unterzeichner des Pflegepaktes unterstützen aktiv alle Ansätze zur Verbesserung des Bildes der Pflege in der Öffentlichkeit. Hierzu dienen insbesondere umfassende Informationen in den Schulen über das Berufsbild, um für die Vorteile der Ausübung des Berufs in Thüringen, insbesondere auch bei jungen Männern, zu werben. Die Bereitstellung von entsprechenden Praktikumsangeboten in den Einrichtungen und Diensten flankieren diese Maßnahme entsprechend. Die Unterzeichnenden vereinbaren, die zuvor benannten Zielstellungen in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen und in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu realisieren und die dafür notwendigen Ressourcen frei zu setzen, um auch künftig eine qualitativ hochwertige Pflege im Freistaat Thüringen gewährleisten zu können. Erfurt, den 7. November 2012