Goethes Wahlverwandtschaften in moderner Form

Vernetzungsbedarf
In Weimar darf und muss man immer auf Goethe Bezug nehmen. Schon Goethe schilderte die Wahlverwandtschaften und daran musste ich heute denken. Zwar ging es bei Goethe um eine Über-Kreuz-Liebe, aber der Name würde auch zu vielen Nachbarschaftsprojekten passen. Die Bürgerstiftung Weimar hatte heute zum 1. Thüringer Erfahrungsaustausch von Nachbarschaftshilfeprojekten in das Forum SEEBACH der Maria-Seebach-Stiftung nach Weimar eigeladen. Als Generationenbeauftragter habe ich nicht nur die Veranstaltung unterstützt, sondern war auch bei der Tagung gerne dabei. Weit über 3.000 Nachbrschafthilfeprojekte gibt es in Deutschland. Auch in Thüringen entstehen immer mehr solche Projekte. In Weimar habe ich bekannte Projekte, wie die Herbstzeitlosen aus Saalfeld, aber auch neue Projekte kennengelernt. Ich bin der Meinung, dass die unmittelbare Nachbarschaft der beste Ort für gemeinsames Engagement ist. Nachbarn werden wichtiger, weil familiäre Beziehungen weniger werden. Die demografische Entwicklung ist ein Beleg dafür. Am 31.12.2011 waren 514.459 Thüringer (23 % der Bevölkerung) älter als 65 Jahre. Bis 2020 wird der Anteil auf 35 % steigen, bei 10 % Rückgang der Gesamtbevölkerung. Bis 2030 wird der Anteil auf 37 % steigen, bei dann mehr als 650.000 Thüringern, die älter als 65 Jahre sind. Und die Zahl der über 80jährigen wird von 124.545 auf mehr als 189.000 steigen.
Maria-Seebach-Stiftung
Zudem führen Modernisierungsprozesse und demografische Entwicklung zu multilokalen Familien. Oft gibt es nur sehr lose oder keine Familienbeziehungen mehr. Der Zusammenhalt der Generationen in den Familien wird durch Geburtenrückgang und Abwanderung zunehmend geschwächt. Es besteht zudem eine Tendenz zu abgeschlossener Generationenkultur, die nur für die eigene Altersgruppe existiert und den Zugang zu anderen Altersgruppen erschwert. Die Generali-Altersstudie 2013 verweist darauf, dass 11 % der 65- bis 85-Jährigen keine Kinder und 24 % keine Enkelkinder haben. 21 % fehlen langjährige Freundschaften und 50 % haben keinen festen Freundes- und Bekanntenkreis. Das größte Problem im Alter ist Vereinsamung mit erheblichen Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Wo Nachbarschaftshilfe kein selbstverständlicher Alltag ist, (wie z.B. in gewachsenen dörflichen Strukturen) bedarf es struktureller Ansätze: Nachbarschaftshilfeprojekte, Selbsthilfegruppen, Seniorenbüros, Mehrgenerationenhäuser, Quartiersmanagement und kommunale Sozialplanung. Unterstützen kann dabei die Ehrenamtsstiftung aber auch als Generationenbeauftragter unterstütze ich solche Initiativen. Ich werbe dabei für einen  positiven Blick auf Nachbarschaftshilfe. Sie ist weder Lückenbüßer für staatliche Sozialpolitik, noch Deckmantel für Schwarzarbeit. Nachbarschaftshilfe hat einen eigenen Wert sie ist Ausdruck des sozialen Wesen der Menschen. Schon Aristoteles hat den Menschen als Zoon Politikon, als ein soziales, auf Gemeinschaft angelegtes und Gemeinschaft bildendes Lebewesen beschrieben. Man könnte auch sagen, Nachbarschaftshilfe stand am Anfang der Menschwerdung: Hätten sich unsere Vorfahren als Nachbarn nicht gegenseitig dabei geholfen, gemeinsam Nahrung zu finden und zu erbeuten, hätten sie dafür nicht die menschliche Sprache erfunden, würde es den heutigen Menschen nicht geben. Ich bin neugierig auf die nächsten Vernetzungstreffen.