Zurückgerudert – Distanzierung von Rechtsextremismus-Studie

Die kritisierte Studie
Die kritisierte Studie
Manchmal dauern Dinge eine ganze Weile und führen erst nach zwei Monaten zu bemerkenswerten Ergebnissen. Gestern hat sich die Ostbeauftragte der Bundesregierung von einer von ihr in Auftrag gegebenen Rechtsextremismus-Studie distanziert. Seit der Vorstellung dieser Studie im Mai hatte sie für Wirbel gesorgt. Bei dieser Studie ging es um Ursachen von Rechtsextremismus und dazu waren 40 kommunale Politikvertreter befragt wurden. Ich war einer der Befragten und habe bereits Ende Mai die Studie und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen kritisiert. Ein Erfurter Stadtratskollege war in der Studie namentlich genannt und von einem offensichtlich linken anonym zitierten Akteur verleumdet worden. Nachdem sich der Stadtratskollege dagegen erfolgreich rechtlich gewehrt hat, musste die Studie ein weiteres Mal überarbeitet werden. Im Ergebnis davon distanziert sich Gleicke nun davon und hat dazu einen Brief an das Göttinger Institut geschrieben, aus dem die Welt und die Sächsische Zeitung heute zitieren. In dem Artikel steht unter anderem: „Ein Grund für den Schritt Gleickes soll unter anderem gewesen sein, dass das Institut dem Ministerium seit Erstveröffentlichung neue Studienfassungen übermittelt haben soll. Dies soll „ohne nähere Erläuterungen und Hinweise“ geschehen sein, was denn genau geändert wurde und vor allem warum. Gleicke habe dies „mit Verwunderung“ zur Kenntnis genommen und schließlich mitgeteilt: „Hieraus kann ich nur die Konsequenz ziehen, mich hiermit in aller Form von der Studie zu distanzieren.“ Besonders schwerwiegend war offenbar der Fall eines Erfurter Stadtrats in der Studie, der „ganz offensichtlich nicht belegbare bloße Aussagen eines anonymen Akteurs als Tatsachen“ dargestellt hatte. Das führte offenbar dazu, dass der Name des Stadtrats aus der aktualisierten Fassung verschwand. Dieser „Mangel an Sorgfalt“ sei mit den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens nicht zu vereinbaren. Zudem sei er ein klarer Beleg für eine „schlicht nicht hinnehmbare Schlamperei“, heißt es in dem Brief weiter.“ Den deutlichen Worten von Gleicke – einschließlich der angekündigten Rückforderung der Kosten dieser Studie – ist nichts hinzuzufügen. Die nunmehr überarbeitete Studie ist nirgendwo mehr im Netz zu finden. Ein geeignetes Arbeitsmittel ist sie ohnehin nicht.

„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“

Die vorgestellte Studie
Die vorgestellte Studie
Reichlich Wirbel verursachte letzte Woche der Abschlussbericht des Forschungsprojektes Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Auftraggeberin der Studie war die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer Iris Gleicke (SPD). Bei der Vorstellung der Studie erklärte sie: „Es gibt, nicht in ganz Ostdeutschland, aber in gewissen Regionen und politisch-kulturellen Umfeldern, eine historisch gewachsene Neigung zu Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Denken.“ Dies hat zu Verstimmung und Widerspruch geführt. Nachdem sich die ersten Journalisten mit der Studie beschäftigten und nachrecherchieren wollten stellte sich heraus, dass etliche der 40 Gesprächspartner entweder nicht zu ermitteln waren, weil die Namen nicht stimmten, oder sie anonymisiert waren. Dies führte dann zu Vorwürfen, dass die Verfasser der Studie vom Göttinger Instituts für Demokratieforschung Interviewpartner erfunden haben könnten, oder zumindest die Auswahl sehr einseitig getroffen hätten. Ich kann nicht beurteilen, wer die anderen 39 Interviewpartner waren und wie sie zu der Studie stehen. Ich kann dies aber für mich tun, weil ich im Sommer letzten Jahres einer der Befragten war. Im Rahmen eines ca. 30minütigen Telefoninterview habe ich meine Meinung als Fraktionsvorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion dargelegt, aber auch vor dem Hintergrund, dass ich als sozial- und jugendpolitischer politischer Sprecher der CDU Landtagsfraktion jahrelang an dem Thema dran war. Mir wurde vor dem Gespräch gesagt, ich sei als Gesprächspartner ausgewählt worden, weil ich mich gegen Rechtsextremismus engagiere. Die Ergebnisse sollen in eine Studienarbeit einfließen und es ginge um allgemeine Frage zum Rechtextremismus und zu speziellen Themen wie dem Protest gegen den Moschee-Bau in Erfurt. Ich habe dem Gespräch natürlich zugestimmt und darum gebeten, die Studienarbeit nach Fertigstellung zu bekommen. Letzteres ist in der Eile der Fertigstellung der Studie offensichtlich großzügig „vergessen“ worden. Ich habe mir die Studie zwischenzeitlich aus dem Netz herunter geladen und die rund 200 Seiten gelesen. Überrascht war ich nicht nur von den Schlussfolgerungen sondern auch von der thematischen Einordnung. In der Studie geht es im Kapitel 6 um den Herrenberg in Erfurt und im Kapitel 7 um Ursachen und Hintergründe für Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlich motivierte Übergriffe in Erfurt. Die Gesprächspartner dazu wurden anonymisiert. Mit mir wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt darüber gesprochen, ob ich anonymisiert werden möchte, oder nicht – es wurde offensichtlich von den Verfassern eigenverantwortlich entschieden. Die von mir zitierten Sätze sind eine stark verkürzte Wiedergabe. Der daraus folgenden Einordnung und Wertung widerspreche ich ausdrücklich. Ich habe insbesondere zu den begünstigenden Faktoren von Rechtsextremismus eine deutlich andere Meinung, als Frau Gleicke und die Verfasser der Studie. Hauptursache für rechtextreme Positionen sehe ich in mangelnden Zukunftsaussichten, Bildungsdefiziten und fehlender inhaltlicher Orientierung. Hinzu kommt mangelnde Erfahrung im Umgang mit anderen Kulturen und Religionen. Eine „historisch gewachsene Neigung zu Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Denken“ vermag ich nicht zu erkennen. Der Erfurter Herrenberg ist ein Schwerpunkt, weil dort ein hoher Prozentsatz von jungen Menschen lebt, denen Zukunftsperspektiven fehlen (Ausbildungsplatz und Job). Zudem hat sich die Stadt Erfurt immer mehr mit Angeboten im Stadtteil zurück gezogen und damit Platz für sich verfestigende neue Strukturen gemacht (dies beklagt u.a. der dortige Ortsteilbürgermeister der bei den Linken ausgetreten ist und sich nunmehr parteilos gegen Rechtsextremismus engagiert). Der Versuch dies der 20 Jahre CDU-geprägten Landesregierung zuzuschieben (das Thema wäre tabuisiert und verdrängt worden), geht fehl. In der Landeshauptstadt haben wir seit über 10 Jahren eine links-link-grüne Koalition. Ich halte das Thema der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus für wichtig und würde mir einen sachlichen Dialog dazu wünschen. Allerdings scheint mir die Studie dafür nur begrenzt hilfreich. Nach Lektüre der Studie habe ich den Eindruck, dass das Ergebnis bereits vor den Interviews feststand und dazu gezielt nach verstärkenden Zitaten und Argumenten gesucht wurde. „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ hat einmal Kurt Tucholsky erklärt. Link zu der inzwischen überarbeiteten Studie