Moderationskreistreffen der Mehrgenerationenhäuser, 3. Dezember 2013, Treff MEGEHA, Nordhausen
Generationenübergreifende Arbeit im weiteren Sinne hat es schon immer gegeben, denn ohne dass eine Generation von der anderen lernt und mit ihr zusammenarbeitet, hätte die menschliche Kultur nicht entstehen können. Aber in jüngerer Zeit ist das Miteinander der Generationen komplizierter geworden. Soziologen haben daher vier Generationenmodelle herausgearbeitet.
Das erste wäre das Modell der positiven Interdependenz, der Solidarität zwischen den Generationen, in der ein Vorteil für die eine Generation auch einen Vorteil für die andere Generation darstellt.
Das zweite Model ist die negative Interdependenz, der Generationenkonflikt. Hier prallen die unterschiedlichen Interessen der Generationen hart aufeinander.
Das dritte ist das Modell nicht der Inter-, sondern der Independenz, der Segregation, der getrennten Lebenswelten, so dass die Generationen keine Berührungspunkte mehr mit einander haben.
Und das vierte Modell ist das der Ambivalenz, das annimmt, dass es der Realität eher entspricht, wenn sowohl von positiven als auch von negativen Wechselwirkungen zwischen Generationen ausgegangen wird.
Für generationsübergreifendes Arbeiten könnte ein Denken in solchen Modellen heißen, vom letzten Ambivalenz-Modell auszugehen, das Modell drei und zwei, also Isolation und Konflikt, nicht dominieren zu lassen, und Modell eins, also die Solidarität zwischen den Generationen, anzustreben.
Aber schon die Frage, wie man den Begriff der Generation näher bestimmt, erweist sich als gar nicht so einfach. Aber auch für diesen Fall gibt es ja Professoren. Einer von ihnen, Kurt Lüscher, gibt die folgende Definition:
„Das Konzept der Generation dient dazu, kollektive oder individuelle Akteure hinsichtlich ihrer sozial-zeitlichen Positionierung in einer Bevölkerung, einer Gesellschaft, einem Staat, einer sozialen Organisation oder einer Familie zu charakterisieren und ihnen Facetten ihrer sozialen Identität zuzuschreiben. Diese zeigen sich darin, dass sich Akteure in ihrem Denken, Fühlen, Wollen und Tun an sozialen Perspektiven orientieren, für die der Geburtsjahrgang, das Alter oder die bisherige Dauer der Mitgliedschaft in der jeweiligen Sozietät oder die Interpretation historischer Ereignisse von Belang sind.“
Soviel einfacher hat man es mit einer solchen Definition vielleicht nicht, aber das liegt auch daran, dass der Generationenbegriff recht verschiedene Rollen in unterschiedlichen Zusammenhängen spielt. Soziologen unterscheiden mindestens vier Kontexte, in denen der Generationenbegriff verwendet wird: den genealogisch-familiensoziologischen, den pädagogischen, den historisch-gesellschaftlichen sowie den sozialpolitischen. Man sieht, wenn zwei dasselbe Wort benutzen, müssen sie noch lange nicht dasselbe meinen und haben die besten Voraussetzungen aneinander vorbeizureden.
Wir können uns einen Punkt von Herrn Lüscher näher anschauen. Geburtsjahrgang und Alter werden bei ihm getrennt aufgeführt, was beispielsweise besagt, dass in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft die Großeltern von gestern, von heute und von morgen sehr verschiedene Personengruppen sein können. So gesehen wäre es ein Fehler, wenn man das Bild, das man sich als Kind von den damaligen Großeltern gemacht hat, zum Beispiel unreflektiert auf die heutigen oder zukünftigen Großelterngenerationen überträgt. Dieser Punkt bedeutet auch, dass eine Generation nicht nur von ihrer Stellung in der Generationenfolge, sondern auch sehr stark von ihrer konkreten Zeit geprägt ist, ob wir nun zum Beispiel von der Generation der Kriegskinder oder von der der Babyboomer sprechen.
Dieses Phänomen hat übrigens schon der alte Goethe – im Vorwort zu Dichtung und Wahrheit ‑ beschrieben: „… ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein.“
Die Modernisierungsprozesse und die demografische Entwicklung haben heute dazu geführt, dass multilokale Familien entstanden sind, dass oft nur sehr lose oder keine Familienbeziehungen bestehen.
Durch Geburtenrückgang und Abwanderung wird der Zusammenhalt der Generationen in den Familien zunehmend geschwächt. Und daher findet sich in allen Altersstufen eine Tendenz hin zu einer abgeschlossenen Generationenkultur, die nur für die eigene Altersgruppe existiert und damit den Zugang zu anderen Altersgruppen erschwert.
So wurde in einer Studie festgestellt, dass zwei Drittel der 15 – 20-Jährigen keinen oder nur wenig Kontakt zu über 60-Jährigen haben. Aus der Generali-Altersstudie, welche in diesem Jahr veröffentlicht wurde, kann man herauslesen, dass 11 % der 65- bis 85-Jährigen keine Kinder und 24 % keine Enkelkinder haben, 21 % fehlen langjährige Freundschaften und 50 % haben keinen festen Freundes- und Bekanntenkreis.
Hier bietet sich für die Mehrgenerationenhäuser ein breites Betätigungsfeld, um wieder intensiveren Kontakt zwischen unterschiedlichen Generationen zu erreichen und der drohenden Vereinsamung im Alter vorzubeugen.
Interessant ist nur die Frage, ob und wie man auch die wirklich Hilfe-Bedürftigen erreicht. Oder ob sich in Mehrgenerationenhäusern vielleicht mehr die Seniorinnen und Senioren tummeln, die sowieso schon sehr aktiv sind und es auch ohne Mehrgenerationenhaus in ähnlichem Maße wären.
Im Jahr 1999 hat es in Bayern eine Tagung gegeben mit dem Titel: „Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der Generationenarbeit“. Mit dieser Tagung verband sich das Anliegen die traditionelle Altenarbeit in Richtung einer Generationenarbeit weiterzuentwickeln.
Dies auch unter dem Ansatz, wegzukommen von einer Haltung, in der allein die Betreuung im Vordergrund steht, hin zu einer Herangehensweise, die mehr Wert auf Prävention, auf Aktivierung und möglichst auch auf eine Öffnung hin zum Gemeinwesen legt.
Mit einer solchen Generationenarbeit sollen die Übergänge zwischen den Lebensaltern erleichtert und der Dialog zwischen den Generationen in Familie und Gesellschaft gefördert werden. Beispiele sind Jung-Alt-Projekte, der Dialog der Generationen, neue generationsübergreifenden Wohnformen oder die Angehörigenarbeit.
Dabei wird die Lebensphase „Alter“ aus generationenübergreifenden Zusammenhängen verstanden und nicht als in sich geschlossene Phase oder gar Sonderform des Lebens betrachtet. Alte Menschen werden als handelnde Subjekte ernst genommen und nicht auf Objektrollen reduziert.
Eine solche Generationenarbeit braucht sicherlich einen „langen Atem“. Manche Verständigungsschwierigkeiten zwischen Alt und Jung lassen sich nicht durch einzelne Projekte oder Events ausräumen. Gerade wenn man sich familienähnlichen Formen annähern will, sind möglichst regelmäßige Kontakte über einen längeren Zeitraum nötig.
Die Generationenarbeit sollte an jenen Themen und Anforderungen anknüpfen, die sich in den bisherigen Arbeitsformen, in der Altenarbeit bzw. der Kinder- und Jugendarbeit ohnehin stellen, z.B. in der Programmgestaltung für Senioren in Mehrgenerationenhäusern und Seniorentreffs, oder in den Lehrplänen und im Projektunterricht in den Schulen.
Bei welchen Motiven und Interessen der potentiellen Adressaten generationenübergreifender Arbeit kann angeknüpft werden?
Es sind die Wünsche nach mehr Kontakt, nach Förderung des Miteinanders, kurz nach sozialer Teilhabe. Oft wird der Wunsch geäußert noch etwas Nützliches tun zu können, mit anderen Worten gebraucht zu werden. Ebenso gibt es Wünsche noch etwas Neues zu erfahren, seinen Horizont zu erweitern, sich zu bilden. Und für manche ist es auch Motivation andere Generationen besser zu verstehen, um so mögliche Konflikte abzubauen.
Für generationenübergreifendes Arbeiten kann man auch nach den Zielgruppen fragen. Aus dem eben gesagten ergeben sich bereits sowohl die Kontakt- als auch die Bildungsinteressierten. Bei denjenigen, die sich nützlich machen wollen, kann man auch fragen, welcher Zielgruppe sie helfen könnten, ob z.B. bei der Unterstützung von Familien, oder Ältere bei der Betreuung von Kindern, siehe Großelterndienste oder Unterstützung bei den Hausaufgaben, oder bei der Förderung von Jugendlichen in Mentoring-Projekten, oder Jüngere bei Älteren, siehe regelmäßige Besuche von Schülern in Senioreneinrichtungen bis hin zu kleinen Hilfen im Haushalt.
Und an dieser Stelle eine letzte Frage für generationenübergreifendes Arbeiten könnte sein, welchen Themen man sich widmen will.
Wo es bereits vielfältige Kontaktmöglichkeiten zwischen Jüngeren und Älteren existieren, ohne dass ein bewusster generationenübergreifender Ansatz dahinter steht, sind der kulturelle und der sportliche Bereich. Aber das heißt ja nicht, dass man diese Gelegenheiten nicht auch „generationsbewusst“ schaffen kann.
Seien es nun Gelegenheiten zum Musizieren, Tanzen, Zeichnen, Modellieren, Theater spielen, gemeinsame Besuche von Museen und Ausstellungen, oder für viele sportliche Aktivitäten, die jetzt nicht einzeln aufführen will.
Ein weiteres Thema könnte die Natur sein, ob nun bei gemeinsamen Exkursionen oder beim gemeinsamen Gärtnern. Wobei Älteren zum Beispiel der Bau von Hochbeeten sehr entgegenkommen könnte.
Von der Generation der Kriegskinder hatte ich bereits gesprochen. Zeitzeugenprojekte können zu sehr intensiven und interessanten Dialogen zwischen den Generationen führen.
Wie unterschiedliche Generationen gemeinsam aktiv Freizeit gestalten, dazu sind der Phantasie letztlich keine Grenzen gesetzt. Das kann auch gemeinsames Kochen heißen. Bei einem Zeitzeugenprojekt in Saalfeld hat es sowohl die Älteren als auch die Jüngeren sehr berührt, gemeinsam Kriegs- und Nachkriegsgerichte zu kochen und dann auch gemeinsam zu essen. Solche Projekte setzen allerdings auch ein gewisses Maß an professioneller Begleitung voraus, damit Ältere vor zu starken Erinnerungen an traumatische Erlebnisse bewahrt werden.
Ein weiteres Thema wäre die Nutzung von Medien. Hier können die Jüngeren den Älteren die Nutzung der neuen Medien vorstellen. Die Thüringer Landesmedienanstalt oder der Landesfilmdienst haben auf diesem Gebiet auch das eine oder andere Angebot.
Abschließend will ich sagen, generationenübergreifende Arbeit ist für mich dann gut, wenn sie dazu beiträgt, Lebensqualität zu steigern, verfestigte Einstellungsmuster aufzubrechen, Konflikte zu minimieren und sozialen Zusammenhalt zu stärken.