Reden

Rede zur Abschlussberatung Haushalt 2021 im Erfurter Stadtrat

Die CDU Stadtratsfraktion hat den Haushaltsentwurf für die beiden Jahre 2019 und 2020 mitgetragen und ebenfalls die beiden notwendigen Nachtragshaushalte. Ausschlaggebend dafür waren vier Punkte:

  1. Der Einstieg in die dringend notwendige Schulsanierung (Eigenbetrieb mit KoWo-Konzept, fraktionsübergreifendes Bekenntnis zur wichtigsten Aufgabe für die neue Wahlperiode des Stadtrats und die deutliche Steigerung von Investitionskosten im HH-Entwurf). Eine Investitionsoffensive dazu in Höhe von 184 Mio. im Jahr 2019 und 204 Mio. im Jahr 2020 sollte beginnen.
  2. Die rechtzeitige Vorlage des Haushaltsentwurfs 2021 und Einbeziehung der Fraktionen.
  3. Information über Eckpunkte noch vor der Einbringung des HH.
  4. Nach Streichung von rund 70 Mio. VE‘s durch das Landesverwaltungsamt, sollte die Einordnung der Schulsanierung in künftige Haushalte erfolgen.

Mit dem Vertrauensvorschuss, dass der Oberbürgermeister und sein Finanzbeigeordneter diese Punkte bei der Haushaltsaufstellung und beim Haushaltsvollzug auch umsetzen, haben wir zugestimmt.

Jetzt bei der Beratung des HH 2021 müssen wir das Fazit ziehen, dass der Oberbürgermeister und sein Finanzbeigeordneter versagt haben. Sie wurden der Erwartungshaltung nicht gerecht.

Es gibt weder einen Eigenbetrieb noch ein zukunftsweisendes Konzept zur Schulsanierung – von der Verwaltung nicht, vom zuständigen Beigeordneten nicht und auch nicht von den Fraktionen die das Konzept des Eigenbetriebs und den Verkauf der KOWO abgelehnt haben. Sie haben versprochen, aber sie haben nicht geliefert!

Im Jahr 2019 wurden von den 184 Mio. geplanten Investitionen nur 110 realisiert ebenso von den 204 Mio. im Jahr 2020 nur knapp 140 Mio. 138 Millionen von der großspurig angekündigten Investitionsoffensive wurden nicht realisiert und als Problem in die Zukunft verschoben. Der Stadtrat hatte im Vertrauen auf diese notwendigen Investitionen den Doppelhaushalt beschlossen. Die Streichung der Investitionen und Umschichtungen in den Verwaltungshaushalt erfolgten dann aber ohne Einbeziehung des Stadtrats im Haushaltsvollzug. Der Haushaltsentwurf 2021 wurde weder rechtzeitig vorgelegt, noch wurden die Fraktionen bei der Schwerpunktsetzung eingebunden. Selbst über die Eckpunkte wurde erst im März informiert.

Die Verwaltung hat in den ersten sieben Monaten dieses Jahres nach eigenen Vorstellungen den Haushalt verwaltet aber dabei nichts gestaltet.

Als Gründe für die verspätete Vorlage des HH-Entwurfs benennen der Finanzbeigeordnete und der Oberbürgermeister die Corona-Situation, aber vor allem die ungenügende finanzielle Ausstattung der Stadt durch das Land. Es ist zutreffend, dass ein Gutachten zu der Einschätzung kommt, dass Erfurt zu wenig Geld vom Land bekommt. Es ist zutreffend, dass der KFA unterfinanziert ist. Die im letzten Landeshaushalt eingestellten 100 zusätzlichen Millionen für die Kommunen halbieren zwar das Problem, lösen es aber nicht.

Richtig ist aber auch, dass andere Städte in Thüringen mit dieser Situation ebenfalls klar kommen müssen und fristgemäß ihren Haushalt vorgelegt und beschlossen haben. Es bleibt auch der Fakt bestehen, dass der Erfurter Stadtrat dieses Problem benennen, aber nicht lösen kann.

Kritik am Land sollte der Oberbürgermeister konkret vorbringen und Ross und Reiter benennen. Verantwortlich für die ungenügende Finanzausstattung der Kommunen sind die Landesregierung und der Thüringer Landtag. Finanzministerin Heike Taubert, Innenminister Georg Mayer aber auch der ehemalige Beigeordnete Staatsekretär Udo Götze (alle SPD) tragen im Finanz- und Innenministerium Verantwortung. Der Erfurter Stadtrat Dirk Adams ist als Minister ebenfalls Teil der Landesregierung und weiter fünf Erfurter Stadträte – Katja Maurer, Karola Stange, Andre Blechschmidt, Astrid Rothe-Beinlich und Laura Wahl sind Landtagsabgeordnete des rot-rot-grünen Bündnisses. Das sind die Adressaten der berechtigten Kritik!

Fakt ist auch, in den nächsten Monaten wird kein neuer Landeshaushalt beschlossen und die Wunschprojektionen des OB an das Land werden keine Erfüllung finden. Also wird auch der nächste Haushalt – nach Ankündigungen des Finanzbeigeordneten soll er Mitte Dezember als Doppelhaushalt eingebracht werden – ebenfalls mit der bestehenden Situation klar kommen müssen.

Der heute zur Beschlussfassung stehende Haushaltsentwurf bietet dafür eine ausgesprochen schlechte Grundlage. Ausgabensteigerungen auf der einen Seite, neue freiwillige Leistungen auf der anderen Seite und zudem fehlende Investitionen türmen sich zu einer Bugwelle auf. Der Verwaltungshaushalt erhöht sich um 27 Millionen Euro unter anderem durch steigende Personal- und Sozialausgaben. 32,1 Millionen neue Kredite lassen die Schulden wieder steigen.

Der Haushalt enthält 24 Seiten Deckungsringe (plus etliche weitere mit der Verwaltungsänderung) und zahlreiche investive Bauprojekte, die quasi mehr oder weniger informativ aufgenommen wurden. Sie stehen im Vorbericht und im Haushaltsentwurf und dies obwohl deren Planungen noch nicht fertig sind und wohl nur nach Gutdünken der Verwaltungsspitze erfolgen werden. Beides ist eine Ermächtigungsgrundlage für die Verwaltung und Beleg dafür, dass nach dem gleichen Schema der Vergangenheit weiter verfahren werden soll.

Die CDU hat ihre Kritik an all diesen Punkten in den letzten Wochen wiederholt vorgebracht. Der Haushalt ist für uns inakzeptabel. Zahlreiche Änderungsanträge der Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen verschlechtern zusätzlich noch die Zukunftsprognosen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir die CDU-Fraktion, wollen mit unseren Haushaltsbegleitanträgen ein Haushaltssicherungskonzept. Auch wenn die Landesverpflichtung dazu coronabedingt ausgesetzt ist, brauchen wir es und wir brauchen es jetzt! Ein HSK liefert den Instrumentenkasten für den Stadtrat. Der Stadtrat kann sich auf dieser Basis intensiv mit der Sanierung des Haushalts auseinandersetzen. Wir werden sparen müssen und wir werden uns fraktionsübergreifend verständigen müssen, mit welcher Schwerpunktsetzung.

Zum Personalentwicklungskonzept kann ich auf die Aussagen und Beschlüsse der letzten Jahre verweisen – gestern sollte im Hauptausschuss über den aktuellen Stand informiert werden, wurde aber dann doch nicht. Insofern bekräftigen wir unsere Forderung.

Die frühzeitige Vorlage des HH-Entwurfs 2022 ist Gegenstand eines Begleitantrags der CDU und ebenfalls die Evaluation der Sozialauf- und Sozialausgaben. Mit unseren Haushaltsbegleitanträgen wollen wir eine Basis für künftige Haushalte schaffen.

Einen weiteren unserer Haushaltsbegleitanträge zum Bau der Feuerwehr-Leitstelle Mitte haben wir im Ergebnis der Beratung im Finanzausschuss und nach dem Hinweis der Verwaltung konkretisiert. „Die notwendigen Haushaltsansätze sind mit Verpflichtungsermächtigungen zu versehen; andernfalls kann das Projekt nicht fortgesetzt werden.“ hat die Verwaltung erklärt und dem folgend haben wir den Antrag zu den Verpflichtungsermächtigungen ergänzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenige Anmerkungen noch zu den Änderungsanträgen der anderen Fraktionen: Der Haushaltsentwurf des Oberbürgermeisters bietet praktisch keinerlei Gestaltungsspiel. Es ist wie die sprichwörtliche „Suche nach dem Brot im Hundestall“. Es gibt nur minimale Positionen bei denen Umschichtungen theoretisch möglich wären. Die Stellungnahme der Verwaltung lehnt alle Änderungsanträge aller Fraktionen ab – dies ist ein Novum bei den Beratungen zum Haushalt. Die Begründungen der Verwaltung lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:

  1. Das erwünschte Geld ist durch den Haushaltsvollzug bereits gebunden oder ausgegeben und wird, auch wenn die Haushaltspositionen erhöht wurden, in jedem Fall gebraucht.
  2. Tatsächlich verfügbares Geld wurde durch den Änderungsantrag des Oberbürgermeisters schon aufgesaugt.
  3. Die Änderungsanträge sind fachlich falsch oder greifen auf Positionen zu, in denen auch Fördermittel enthalten sind.

Trotz dieser Stellungnahmen der Verwaltung werden die Anträge heute hier zur Abstimmung stehen, weil sie den antragstellenden Fraktionen als parteipolitische Signale wichtig sind. Es wird noch Gelegenheit sein, über die Anträge einzeln zu sprechen. Aber die CDU wird keinesfalls der Streichung der Parkpalette in der Nordhäuser Straße (gebundene Mittel durch die Stellplatzabgabe), dem Verzicht auf den Kauf von Sonder- und Löschfahrzeugen (Fördermittel darin enthalten) oder der Plünderung des Bastionskronenpfades zustimmen.

Wir sind grundsätzlich gesprächsbereit und wollen an künftigen Haushalten mitwirken. Dazu ist erstens ein Umdenken von Seiten des Oberbürgermeisters und des Finanzbeigeordneten dringend geboten. Wir fordern von ihnen Dialogbereitschaft sowie klare Schwerpunktsetzungen.

Zweitens ist die Schulsanierung für die CDU die zentrale Aufgabe dieser Wahlperiode im Stadtrat. Dazu muss es im Haushalt entsprechende Freiräume geben und fraktionsübergreifend die Verständigung, dass dies die wichtigste Aufgabe ist. Drittens muss der Haushalt muss zuvor in Ordnung gebracht werden. Der Haushaltsentwurf 2021 lässt dies nicht einmal ansatzweise erkennen.

Die CDU-Fraktion wird den Haushaltsentwurf des Oberbürgermeisters heute ablehnen.

Michael Panse, 14.7.2021

Vor-Vor-Vor-Beratung zum Haushalt

Stadtratssitzung 25.5.2016
Stadtratssitzung 25.5.2016

Jetzt ist es Ende Mai und ein Haushaltsentwurf ist in Erfurt weit und breit nicht in Sicht. Vor einem Jahr waren wir zu diesem Zeitpunkt gerade auf der Zielgerade der Haushaltsberatungen und auch da gab es bereits berechtigte Kritik für die halbjährige Verspätung. Offensichtlich wird das Thema aber nun selbst der sonst eher lethargischen Koalitionsgemeinschaft von Rot-Rot-Grün unangenehm.

Regelmäßige Demonstrationen gegen die Haushalt- und Finanzpolitik der links-link-grünen Gemeinschaft und des Oberbürgermeisters zerren an den Nerven. Aber muss deutlich gesagt werden, Rot-Rot-Grün und der Oberbürgermeister haben dies verursacht und bereits ein halbes Jahr verschenkt. Sie hätten im November 2015 dem Antrag der CDU-Stadtratsfraktion zustimmen können, als wir die fristgemäße Vorlage eines Haushaltsentwurfs einforderten und auf drohende Konsequenzen der vorläufigen Haushaltsführung hinwiesen. Die Kolleginnen und Kollegen steckten aber den Kopf in den Sand, hielten sich Augen und Ohren zu und vertrauten stattdessen der Ankündigungsrethorik des Oberbürgermeisters.

Der nun heute vorgelegte Antrag ist bestenfalls „schmückendes Beiwerk“. Dies erklären aber nicht nur wir als Opposition, dies erklärt auch der Stadtratskollege Andre Blechschmidt von den Linken. Schmückendes Beiwerk? Für was denn? Es gibt gar nichts. Es gibt keinen Fahrplan, kein Konzept und schon gar keinen Haushaltsentwurf. Dabei gibt die Thüringer Kommunalordnung die Antwort auf die Frage, wer dafür zuständig ist. Also wer legt wem was wann vor? Es ist der Oberbürgermeister! Es ist sein Job, er ist Chef der Verwaltung. Er ist auch derjenige, der das Thema vor vier Monaten zur Chefsache erklärt hat. Er hat dabei versagt!

Wir beraten in der heutigen Stadtratssitzung drei Themen gemeinsam:

  1. Den Antrag der CDU – darin fordern wir, dass Fakten auf den Tisch gelegt werden
  2. Die Information über die Fortschreibung der vorläufigen Haushaltsführung des Oberbürgermeisters
  3. Das vermeintlich schmückende Beiwerk von Rot-Rot-Grün

Dabei ist die Verwaltungsinformation zur vorläufigen Haushaltsführung das einzige Papier mit nennenswerten Zahlen. Allerdings ist auch dies für Rot-Rot-Grün nur von Interesse bezüglich des Sozialtickets. Seit Monaten sorgt das Sozialticket für Aufregung bei den Linken und wird zum Hauptkampfthema erklärt. Die Diskussion kommt dann schnell an den Punkt, an dem die Linken mit dem Ende der Koalition drohen und der Oberbürgermeister einknickt. In den Medien war aktuell zu lesen, dass nach seiner Meinung an der aktuellen Streichung des Sozialtickets die Finanzbeigeordnete Schuld sei. Die ist nicht nur fachlich falsch, weil der Oberbürgermeister die Verantwortung trägt – es ist seine DBOB-Vorlage. Sie ist auch in höchstem Maße unanständig! Sich feige und verantwortungslos beiseite zu stellen ist nach Auffassung der CDU-Fraktion eines Oberbürgermeisters unwürdig!

Mit der vorläufigen Haushaltsführung werden Kürzungen fortgeschrieben bzw. verstärkt. Rund 2,7 Millionen sollen bis zum Jahresende damit gespart werden und dies vor allem zu Lasten Dritter, weil deren Zuschüsse weiter gekürzt werden. In den ersten Monaten gab es aber durch die vorläufige Haushaltsführung noch keine nennenswerten Effekte. In der Antwort auf den CDU-Antrag weist die Verwaltung darauf hin, dass sie meilenweit von einem ausgeglichenen HH entfernt sein. Was sind nun die Ursachen dafür? Erstaunlicherweise erklärt jetzt endlich der Oberbürgermeister das, was seine Beigeordnete seit Jahren predigt. Die Personal- und Sozialausgaben laufen aus dem Ruder! Darüber hinaus strotzt allerdings die Stellungnahme des OB auf den CDU-Antrag vor Unkenntnis und Ignoranz. Wenn dies tatsächlich sein Wissensstand zum Thema Finanzen ist, kann einem Angst und Bange werden um die Landeshauptstadt!

Der Antrag von Rot-Rot-Grün klingt in seinem ersten Punkt noch ganz nett und zustimmungsfähig. Er suggeriert, sie würden das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Leider tun sie es nicht. Das Papier ist beim genauen Lesen eine schallende Ohrfeige für den Oberbürgermeister. Tut er denn nicht das was Rot-Rot-Grün von ihm fordert? Als OB nicht und auch nicht als SPD Landesvorsitzender? Er soll „Planungsaktivitäten auf die Erstellung eines Haushaltsentwurfs konzentrieren“ mahnt ihn sein Koalitionsbündnis…

Der Antrag ist aber auch eine schallende Ohrfeige für die sechs Stadträte von Rot-Rot-Grün, die zugleich Landtagsabgeordnete sind, denn auch sie scheinen das nicht zu tun, was von ihnen gefordert ist. Sie sollen für eine „auskömmliche Finanzierung der Kommunen“ sorgen. Gemeinsam mit dem Ex-Stadtrat und jetzigen Innenminister Poppenhäger haben sie den Doppelhaushalt 2016/2017 einschließlich des Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) beschlossen.

Für uns ist zu dem Antrag festzustellen, dass er den 2. vor dem 1. Schritt versucht. Wir brauchen erst einmal einen Haushaltsentwurf, bevor wir etwas beschließen können. Rot-Rot-Grün zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf vermeintlich Schuldige – den Bund und das Land. Das Land sind sie selber und erkennen nicht, dass der ausgestreckte Finger zwar auf andere zeigt, aber drei Finger der gleichen Hand auf sie selbst.

Sie haben gemeinsam mit dem OB die Haushalte der letzten Jahre beschlossen und in den letzten beiden Jahren mit Millionendefizite abgeschlossen. Die Finanzbeigeordnete Frau Pablich hat dazu eindringliche Appelle an den Finanzausschuss und den Stadtrat gerichtet. Der Oberbürgermeister hat dies öffentlich noch nicht getan. Dem Vernehmen nach scheiterte er bereits in seiner eigenen Fraktion, als er es bei einer Klausurtagung versuchte. Nach heftigem Gegenwind rollte er sich wieder zusammen.

Der Oberbürgermeister weiß allerdings recht gut wo die Säge klemmt. Die Personalausgaben der Stadt stiegen auch im laufenden Jahr wieder – von 164 Millionen Euro auf 168 Millionen Euro. Im Jahr 2006, dem Jahr seines Amtsantritts, waren es noch 117 Millionen Euro. 60 neue unbefristete Personalstellen wurden allein in diesem Jahr geschaffen. Die Sozialausgaben stiegen zwischenzeitlich auf 185 Millionen Euro. Beides zusammen sind die Kostentreiber im städtischen Haushalt. Ein Personalentwicklungskonzept gibt es bis heute nicht und auch über das Haushaltssicherungskonzept ist noch nichts bekannt.

Die CDU fordert daher den Oberbürgermeister nachdrücklich auf, die Finanzen zur wirklichen Chefsache zu machen. Sein erster Versuch zu Beginn des Jahres scheiterte bei den Gesprächen mit seinen Beigeordneten und Amtsleitern. Wir fordern ihn eindringlich auf einen HH-Entwurf zeitnah vorzulegen und mit den Stadträten, Fachausschüssen und den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.

Rot-Rot-Grün will bis 2019 die Haushalte gemeinsam beschließen. Wenn ihnen die Kraft dazu fehlt, sollten sie die Konsequenzen für ihr fragiles Koalitionsbauwerk ziehen!

 

 

 

Festlegungen zur vorläufigen Haushaltsführung 2016

16.12.2015 Redebeitrag zur Stadtrats-Drucksache 2807/15

Die vorläufige Haushaltsführung zu Beginn eines neuen Jahres ist in der Landeshauptstadt Erfurt zu einer traurigen Konstante geworden. Seit 2010 beendet die Diskussion um Kürzungen das Jahr und ab Januar spüren die Bürgerinnen und Bürger die damit einhergehenden Einschränkungen.

Genauso lange scheint es aber weder den Oberbürgermeister noch die ihn tragenden Faktionen wirklich zu stören – anders lässt sich die unterlassene Hilfeleistung am krankenden Haushalt der Stadt nicht erklären.

In jeder Haushaltsdiskussion und bei jedem Vorwort zum Haushalt hat nicht nur die CDU-Stadtratsfraktion auf die bestehenden Defizite hingewiesen, sondern auch die Finanzbeigeordnete hat dies mit zunehmender Deutlichkeit getan. Die Ursachen des Desasters sind bekannt. Drei Kernprobleme führen zum aktuellen Haushaltsdrama, welches die Finanzbeigeordnete gestern im Finanzausschuss mit einer Lücke von aktuell 46 Millionen Euro beziffert hat.

  1. Eine jahrelang verfehlte Haushalts- und Finanzpolitik mit steigenden Verwaltungsausgaben und insbesondere Personalausgaben auf (Planung 2016) 166 Millionen Euro – fehlendes Personalentwicklungskonzept. Steigende Sozialausgaben (Zitat Oberbürgermeister). Ignoranz gegenüber den Auswirkungen von Stadtratsbeschlüssen und die Haushaltssituation verschärfende Stadtratsbeschlüsse von Rot-Rot-Grün.
  2. Das Prinzip „Hoffnung“ auf sprudelnde Steuermehreinnahmen oder finanzielle Leistungen des Landes. Letzteres vollmundig im Wahlkampf von Rot-Rot-Grün angekündigt und versprochen erwies sich als Luftnummer. Die dafür Mitverantwortlichen sitzen auch im Erfurter Stadtrat als Stadträte und Landtagsabgeordnete. Weitgehend schweigend hat auch der Oberbürgermeister bei diesem Trauerspiel zugesehen. Als SPD-Landesvorsitzender hat er den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt und unterschrieben. Bei der mangelnden Umsetzung der besseren Finanzausstattung insbesondere der Städte, hat er zwar den Mund gespitzt, aber nicht gepfiffen. Der lautstarke Protest blieb jedenfalls aus.
  3. Die zusätzlichen Kosten für die Flüchtlingsbetreuung werden gerne als Begründung für die Schieflage des Haushalts bemüht, einhergehend mit der Feststellung Land und Bund würden der Stadt nicht genügend Geld geben, um diese Aufgaben zu erfüllen. Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Standards? Fehler im investiven Bereich? Langfristige Verträge, die uns binden bei Personal und Mietabschlüssen?

Heute reden wir deshalb über eine Lage „die noch nie so ernst“ war (Zitat Drucksache 2807/15). Wir reden darüber auch, weil es keine Rücklage mehr gibt und die Gebührenschraube bis ans Ende gedreht wurde. Investitionen sind zudem bis auf wenige Maßnahmen nicht mehr getätigt worden.

„Es kann bei objektiver Beurteilung der Lage nicht eingeschätzt werden, wann eine ausgeglichene Haushaltssatzung 2016 vorgelegt werden kann“ (DS 2807/15).

Ich habe im Sommer bei der Beratung zum Haushalt 2015 bereits gesagt: Rot-Rot-Grün trägt die Verantwortung dafür, wenn mit dem nächsten Haushalt ein Haushaltssicherungskonzept mit drastischen Einschnitten beschlossen werden muss. Im §53a der Thüringer Kommunalordnung steht, wann ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen ist.

1. die Beurteilung der dauernden Leistungsfähigkeit in zwei der drei dem laufenden Jahr vorangegangenen Haushaltsjahre oder in zwei der dem laufenden Haushaltsjahr folgenden Finanzplanungsjahre einen Fehlbetrag aufweist.

2. in einem vorangegangenen Haushaltsjahr ein Fehlbetrag entstanden ist und die Gemeinde nicht in der Lage ist, diesen entsprechend der Vorgaben des §23 ThürGemHV zu decken; dabei ist es unerheblich, ob der Fehlbetrag in Verwaltungs- oder Vermögenshaushalt entstanden ist.

Wir warten sehr gespannt auf den Rechnungsabschluss 2015. Ich prognostiziere, dass wir im kommenden Jahr nicht zu der fachlichen Diskussion über einen Haushaltsentwurf kommen werden, sondern lediglich über ein Haushaltssicherungskonzept reden können. Dies hält aber die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot-Grün nicht davon ab weiter zu träumen. Das Sozialticket, Personalentscheidung (wie zum 2. Nachtragshaushalt) oder Schaufensteranträge zur vorläufigen Haushaltsführung sind Belege dafür. Zwei Dinge weichen aber in diesem Jahr von der üblichen Praxis ab.

  1. In diesem Jahr gibt es keine Prognose darüber wann der Oberbürgermeister einen Haushalt vorlegen wird – dies ist aber insofern auch nicht neu. Die in der vergangenen Zeit angesetzten Fristen oder Versprechungen wurden von ihm auch nie eingehalten.
  2. Im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung informiert der Oberbürgermeister nur über die von ihm verordneten Sperren und Streichungen. Eine Mitentscheidung der Stadtratsfraktionen ist nicht vorgesehen. Wörtlich heißt es „über die Aufhebung der Sperren im Verwaltungshaushalt entscheidet die Beigeordnete für Finanzen und Liegenschaften auf Basis begründeter Einzelanträge.

Insbesondere am Punkt 2 stören sich die rot-rot-grünen Bündnispartner. Sie würden gerne auch wie in der Vergangenheit an der vorläufigen Haushaltsführung mit „herumfummeln“.  Leider hat dies aber nie zu dringend notwendigen Einsparungen und einer grundsätzlichen Kursänderung geführt. Es hat stets die Lage für das folgende Jahr noch verschlimmert.  Deshalb sage ich Namens der CDU-Stadtratsfraktion mit Blickrichtung auf die rot-rot-grüne Kooperationsgemeinschaft und ihre Haushalts- und Finanzpolitik deutlich:

„Sie sind nicht die Lösung des Problems, sie sind das Problem!“

Aktuelle Stunde Multifunktionsarena – Stadtratssitzung 18.11.2015

„Multifunktionsarena – Zukunftsweisendes Prestigeprojekt oder Belastung für Erfurt?“ ist der Titel der von den Linken beantragten Aktuellen Stunde. Vielen Dank für diesen Antrag. Die Sachverhaltsbeschreibung zu diesem Antrag beginnt mit dem Satz „In den vergangenen Wochen und Monaten sind erhebliche Probleme bei der Planung und Finanzierung öffentlich geworden.“ Dies ist leider zutreffend beschrieben. Zutreffend ist auch, dass sich damit einhergehend Fragen nach der politischen Verantwortlichkeit stellen.

Oder einfach formuliert: Wer trägt die Verantwortung für Ausschreibungs-, Vergabe-, Planungs- und Umsetzungsfehler? Dabei geht es der CDU-Fraktion nicht um eine erneute Diskussion „für und wider“ Multifunktionsarena. Diese Diskussion haben wir umfänglich geführt und es gibt klare Stadtratsbeschlüsse dazu. Dass diese Beschlüsse nur teilweise umgesetzt werden, hat der Oberbürgermeister zu verantworten – Neubau der Martin Anderson Nexö Straße, Parkraumkonzept und finanzielle Obergrenze des Projekts.

Heute geht es aber um offensichtliche Fehler, die im Verantwortungsbereich von der „multifunktionsarenazuständigen“ Beigeordneten Frau Hoyer zu verantworten sind. Mit der Beratung des Rechnungsprüfungsberichts im Finanzausschuss in der letzten Woche wurden diese diskutiert und dokumentiert. Aus der nichtöffentlichen Sitzung kann ich hier nicht berichten, aber es ging ja zutreffend schon durch die Presse, dass es gravierende Verstöße gibt und sich selbst die Staatsanwaltschaft jetzt mit dem Thema beschäftigt.

Der Oberbürgermeister hat mir heute in Beantwortung einer Stadtratsanfrage geschrieben „alle Beigeordneten geben ihr Bestes“ und „wo gearbeitet wird können auch mal Fehler passieren“. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen erklärte heute in der Presse „Es gab Ungeschicklichkeiten, Unverständnis und zum Teil auch Überforderungen, doch am Ende hat Kathrin Hoyer (Grüne) einen tollen Job gemacht.“ Parteipolitisch muss der Kollege Fraktionsvorsitzende das sicher so sehen.  Auch der Kollege der SPD-Fraktion erwartet keinen Erkenntnisgewinn. Realistisch betrachtet wird diese Beschönigung bzw. Ignoranz dessen was passiert ist, dem Thema und insbesondere der Verantwortung für unsere Stadt nicht gerecht. Ich empfehle die ausführliche Lektüre des Rechnungsprüfungsberichts ausdrücklich meinen Kollegen Fraktionsvorsitzenden sowie allen anderen Stadtratskollegen – dann wird ihnen schnell klar, was passiert ist und wer die Verantwortung dafür trägt.

Fehler bei der ersten Ausschreibung führten schon zu einer erheblichen Zeitverzögerung mit deutlichen Kostensteigerungen. Frau Hoyer verweist als Erklärung dazu darauf, dass es in ihrem Bereich an Erfahrungen für solche Ausschreibungsprojekte fehle und deshalb Fehler passiert seien. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass sie dieses Defizit gegenüber dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister offenbart hat, sondern sie hat munter weiter ausgeschrieben, Verträge unterschrieben, Gelder angewiesen und Leistungsreduzierungen veranlasst. Baugenehmigungen bzw. Teilbaugenehmigungen wurden darüber hinaus erteilt die jetzt zumindest kritisch hinterfragt werden müssen. Brandschutzkonzepte wurden nicht vorgelegt und viele Dinge mehr.

Neben Verzögerungen in der Bauplanung und Leistungsreduzierungen in der Realisierung des Baus stehen bereits jetzt erhebliche Mehrkosten im Raum – durch ganz klare Fehler im Verantwortungsbereich von Frau Hoyer. „Wo gearbeitet wird können auch einmal Fehler passieren“ sagt berechtigt der Oberbürgermeister und sieht offensichtlich trotzt des Rechnungsprüfungsamtsberichts keinen Handlungsbedarf und dies obwohl das Thema angeblich „Chefsache“ ist. Er sieht auch keinen Handlungsbedarf zur Neustrukturierung der Aufgabenbereiche seiner Beigeordneten.

Ich sage sehr deutlich: Wo die fachliche Kompetenz und die selbstkritische Aufarbeitung von Fehlern fehlen, werden weiter Fehler passieren, die die Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt letztlich teuer zu stehen kommen. Frau Hoyer ist als Beigeordnete der Stadt gewählt, um zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger und der Stadt zu wirken. Dies tut sie bezüglich der Realisierung des Baus der Multifunktionsarena ausdrücklich nicht. Ich fordere sie hiermit im Namen der CDU-Stadtratsfraktion auf, ihr Amt Als Beigeordnete zur Verfügung zu stellen und zurück zu treten.

Rede zum Haushalt der Landeshauptstadt Erfurt 2015

Die Haushaltsberatungen sind in der Stadt Erfurt immer ein ganz besonderes Schauspiel – in diesem Jahr allerdings haben sie mehr Züge von einem Drama!

Vollmundig kündigte der Oberbürgermeister letzten Sommer die Vorlage eines Haushalts 2015 für den Herbst 2014 an – jetzt wo der HH tatsächlich beschlossen werden soll, ist es Sommer 2015.

Auch in diesem Jahr verschob sich das Aufführungsdatum wieder nach hinten, weil die Hauptakteure – in dem Fall der Oberbürgermeister mit seinen BeigeordnetenInnen – mit ihren Proben nicht fertig wurden und sich über die Choreografie stritten. Um überhaupt einen ausgeglichenen HH-Entwurf vorlegen zu können, wurde zu Jahresbeginn dann der Kassendeckel symbolisch zugeklappt und der Druck auf die Dezernate und Ämter erhöht. Bereits ein halbes Jahr agiert die Stadt daher mit einer vorläufigen Haushaltsführung mit massiven Einschränkungen. Leidtragende sind im Wesentlichen die Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt. Die vorläufige Haushaltsführung endet entgegen der Annahme des Kollegen Warnecke nicht mit der heutigen Beschlussfassung zum Haushalt sondern erst wenn der HH vom Landesverwaltungsamt genehmigt und im Amtsblatt verkündet wird.

Finanzpolitisch gesehen befindet sich die Landeshauptstadt Erfurt im freien Fall und der Aufschlag ist abzusehen! Die Falllinie ist dabei noch deutlich sichtbar. Seit 2006, seit dem Amtsantritt des Oberbürgermeisters, stiegen der Personalbestand der Stadt und damit die Personalkosten auf nunmehr 168,5 Millionen Euro im Jahr. Versuche die Kostensteigerung zu begrenzen gab es – sie wurden aber alle abgelehnt.

Es ist zutreffend, Tarifsteigerungen spielen dabei eine Rolle – aber auch in diesem Jahr werden es 85 VbE mehr werden. Die Personalkosten je Einwohner steigen kontinuierlich. Wir sind jetzt bei 822 Euro – vor zwei Jahren waren es noch 752 Euro. Die Personalkosten sind ein  Drittel der Kosten im Verwaltungshaushallt. Allein in den letzten fünf Jahren stiegen die Gesamtausgaben im Verwaltungshaushalt von 508 Millionen Euro auf nunmehr 597 Millionen Euro. 90 Millionen Steigerung im Verwaltungshaushalt, dies ist das Geld was uns jetzt fehlt!

Erkennbar ist daran: Der Oberbürgermeister und die drei ihn tragenden Fraktionen von Rot-Rot-Grün bekommen den Verwaltungshaushalt nicht in den Griff. Dies ist die eigentliche Ursache, warum sich die Finanzsituation der Stadt von Jahr zu Jahr mehr verschlechtert, sich Gestaltungsspielräume verengen und die Haushaltberatungen mehr und mehr zu einem Drama verkommen.

Die Finanzbeigeordneten Frau Pablich möchte ich an dieser Stelle im Namen der CDU-Fraktion danken und sie ausdrücklich von dieser Kritik ausnehmen. Sie ist eine glaubwürdige Quelle, wenn es um die Haushaltssituation der Stadt geht. In jedem Jahr, bei jedem Haushalt, warnt sie in zunehmend deutlicheren Worten vor den Konsequenzen der verfehlten Finanzpolitik. Frau Pablich hat darauf verwiesen, dass es ein “weiter so” nicht mehr geben dürfe und die “ungedecken Schecks” des Vorjahres für ein Haushaltsminus von 4,8 Millionen Euro verantwortlich seien. Die CDU-Fraktion hat bereits bei den Haushaltsberatungen 2014 die links-link-grüne Koalition vor Luftbuchungen, wie der Gewinnausschüttung der Sparkasse gewarnt. Es hat sie 2014 nicht interessiert und es interessiert sie auch 2015 nicht.

Das Problem des Erfurter Haushalts ist nicht mit Einnahmeerhöhungen zu lösen, sondern die Ausgaben müssen sinken. Es kommt hinzu, dass es bei den Einnahmen und Ausgaben erhebliche Unsicherheiten gibt. Die gerade vorgeschlagenen Tariferhöhungen bei den Erzieherinnen sind im Haushalt beispielsweise noch nicht „eingepreist“. Äußerst risikobehaftet sind die Einnahmen aus Grundstücksverkäufen und die Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Dies ist in der Drucksache der Haushaltsanalyse per 31.3.2015 nachlesbar.

Es war leider nur ein kurzer Lichtblick, als Oberbürgermeister Bausewein vor Beginn der Haushaltsberatungen vor Luftbuchungen warnte. Er ist damit noch nicht einmal zu seiner eigenen Fraktion argumentativ durchgedrungen, geschweige denn zu den Linken und Grünen.

Beleg dafür sind die links-link-grünen Haushaltsanträge. Sie sind alles andere als „grandios”, wie sie der grüne Fraktionsvorsitzende in einem Anflug grüner Selbstüberhöhung nannte. Rund 1,5 Millionen Euro will Rot-Rot-Grün für viele wichtige und notwendige Projekte ausgeben.

Leider haben sie aber bei der Suche nach finanziellen Deckungsquellen ausgesprochen dilettantisch agiert. Es ist hier im Stadtrat schon ein einmaliger Vorgang, dass die Stadtverwaltung rund drei Viertel der links-link-grünen Anträge als unseriös geißelt. Zwei der wesentlichen Deckungsquellen wurden von der Verwaltung als völlig unrealistisch bezeichnet. Mit rund einer halbe Million Euro will sich Rot-Rot-Grün bei den Kosten der Unterkunft KDU bedienen. Der dazugehörige Deckungsring erlaubt dies nicht, erläutert die Verwaltung.  Ähnlich unseriös ist auch die fiktiv angenommene Steigerung der Vergnügungssteuer um 100.000 Euro.

Erstaunlich ist dabei nicht nur die Unseriösität der Vorschläge von Rot-Rot-Grün sondern die Beratungsresistenz. Bester Beleg war dafür war dann die Abschlussberatung im Finanzausschuss. Sie haben sich Augen und Ohren zugehalten und die Anträge trotz Verwaltungsablehnung beschlossen. Mit den Änderungen von Rot-Rot-Grün und der schon vorher bestehenden Schieflage des Haushalts werden die Schulden weiter steigen und eine Schuldenfreiheit bis 2015 wird nicht mehr erreichbar sein. Die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger steigen weiter. Der Anstieg der Grundsteuer B trifft alle – nicht nur Immobilienbesitzer sondern vor allem auch die Mieter. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, der unter anderem auch beim Mieterbund aktiv ist, kann künftig den Mietern erklären, wie diese spezielle sozialdemokratische negative Mietpreisbremse funktioniert.

Das trotzige „Aufstampfen auf dem Boden“ mit den Worten „ich will aber trotzdem“ kann man kleinen Kindern gerade noch mit viel Toleranz durchgehen lassen.  Verantwortungsvolle und nachhaltige Finanzpolitik lässt sich aber so nicht machen! Ich prognostiziere Ihnen, dass der Haushalt 2015 spätestens im Herbst platzt. Der Finanzbeigeordneten bleibt gar nichts anderes übrig, als unmittelbar nach der Beschlussfassung Sperren zu verhängen, so wie im vergangenen Jahr auch schon.

Rot-Rot-Grün trägt damit die Verantwortung dafür, wenn mit dem nächsten Haushalt ein Haushaltssicherungskonzept mit drastischen Einschnitten beschlossen werden muss. Im §53a der Thüringer Kommunalordnung steht, wann ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen ist.

1. die Beurteilung der dauernden Leistungsfähigkeit in zwei der drei dem laufenden Jahr vorangegangenen Haushaltsjahre oder in zwei der dem laufenden Haushaltsjahr folgenden Finanzplanungsjahre einen Fehlbetrag aufweist.

2. in einem vorangegangenen Haushaltsjahr ein Fehlbetrag entstanden ist und die Gemeinde nicht in der Lage ist, diesen entsprechend der Vorgaben des §23 ThürGemHV zu decken; dabei ist es unerheblich, ob der Fehlbetrag in Verwaltungs- oder Vermögenshaushalt entstanden ist.

Mit dem Haushaltsabschluss 2014 ist die erste Latte bereits gerissen. Mit der Beschlussfassung zum vorliegenden Haushaltsentwurf beschleunigt sich der  finanzpolitische freie Fall noch und Sie nehmen den harten Aufschlag billigend in Kauf.

Wir haben Sie in den vergangenen Jahren bereits eindringlich vor diesem Szenario gewarnt. Sie halten sich weiter Augen und Ohren zu. Die CDU-Fraktion wird daher auch in diesem Jahr den Haushalt ablehnen!

„Die Herausforderungen des demografischen Wandels an die evangelische Bildungslandschaft“

Grußwort beim Bildungskonvent der EKM, Mittwoch, 12. November 2014, 09.00 Uhr, Augustinerkloster Erfurt

Sehr geehrte Damen und Herren,

evangelische Kirche und Bildung haben schon seit Beginn einen engen Zusammenhang.

Als Martin Luther hier ins Augustinerkloster eintrat, hatte er seine erste Bildungskarriere in Erfurt schon hinter sich. Und ohne sein vorheriges Jura-Studium hätte ihn vielleicht als Mönch die Schuldfrage nicht so umgetrieben.

Wenn Juristen etwas lernen, dann ist es ja möglichst viele Probleme zu sehen, wo andere Menschen eher keine vermuten.

Der gebildete Jurist Luther quälte sich stärker als andere mit der Schuld, mit der Frage, wie er als sündiger Mensch Gnade vor dem göttlichen Richter finden könne.

Sein Beichtvater Johann von Staupitz schickte ihn als Therapie für sein Problem zum Theologiestudium nach Wittenberg. Und sein Studienergebnis des Römerbriefs war, dass man sich einen gnädigen Gott nicht erkaufen kann, weder durch Selbstgeißelung noch durch Ablassbriefe, sondern nur durch gläubiges Annehmen des Geschenks der göttlichen Gnade. Eine Bibelinterpretation, die zum Bruch mit der damaligen katholischen Kirche führte.

So gesehen wäre die Reformation in Deutschland die direkte Folge der zwei Bildungskarrieren Martin Luthers, sowohl als Jurist und als auch als Theologe.

Der hohe Wert der Bildung begründet sich bei Luther nicht allein aus der eigenen Lebensgeschichte, sondern auch theologisch. Wer vom Priesteramt aller Gläubigen spricht, der muss die Bibel allen zugänglich machen. Dann dürfen nicht nur Knaben in Klosterschulen Lesen lernen, sondern Jungen und Mädchen, Männer und Frauen egal welchen Standes. Sein Mitstreiter Philipp Melanchthon hat dafür viel getan.

Und Luther bekannte: „Wenn es Gott gefiele, mich meiner Aufgaben als Pastor zu entheben, gäbe es für mich auf Erden keine Aufgabe, die ich lieber erfüllen würde als diejenige eines Schulmeisters, denn nach dem Amt des Pastors gibt es kein schöneres Amt als das seine.“ Ob das heute alle Pfarrer unterschreiben würden?

Die Reformatoren hielten es für eine Christenpflicht, für eine gute Bildung aller Kinder zu sorgen. Sie hätten es sich wohl kaum träumen lassen, dass fünfhundert Jahre später eine gute Bildung scheinbar Kinder verhindert.

Führt etwa die höhere Bildung der modernen Frauen zu unseren heutigen demografischen Problemen?

Schaut man sich die Kinderzahlen von Frauen über 40 – die mit dem Thema Familienplanung überwiegend abgeschlossen haben – in den alten Bundesländern näher an, so sind sie umso geringer, je höher der Bildungsstand ist.

26 Prozent der Frauen mit hoher Bildung in dieser Gruppe haben gar keine Kinder.

Schaut man auf die noch vorhandenen Ost-West-Unterschiede, so kann der Bildungsgrad allein allerdings nicht der ausschlaggebende Grund sein.

Aber auch die bevölkerungspolitischen Maßnahmen der DDR, zum Beispiel die Möglichkeit den sogenannten Ehekredit „abzukindern“, haben die Schrumpfung der Bevölkerung nicht aufgehalten.

Woran kann das liegen? Fragen wir umgekehrt nach Kinderreichtum und nicht nach Kindermangel, so ist die Antwort einfach. Weltweit die meisten Kinder bekommt nach Auskunft der letzten Statistik eine Frau in der afrikanischen Republik Niger, im Durchschnitt sind es 7. Eine Erklärung für diesen Kinderreichtum ist, dass Kinder in solchen Ländern Teil der persönlichen Daseinsfürsorge sind. Wo es keine Rentenversicherung oder ähnliches gibt, tragen die Kinder ihre Eltern in der familiären Solidargemeinschaft.

Am Anfang des Rückgangs der Kinderzahlen in Deutschland standen die Bismarck´schen Rentenreformen von 1889. Die letzte deutsche Elterngeneration, die sich komplett reproduzierte, wurde 1880 geboren. Das heißt, bereits vor dem 1. Weltkrieg war in Deutschland Schluss mit einer die Reproduktion sichernden Geburtenquote von 2,1 oder gar mehr.

In Thüringen wird sich nach den vorliegenden Bevölkerungsvorausberechnungen die Einwohnerzahl in der Zeitspanne von 1950 bis 2050 annähernd halbieren. Waren es 1950 in Thüringen noch knapp 3 Millionen Einwohner, exakt 2.932.242, so wird heute für das Jahr 2050 mit 1.538.200 Einwohnern in Thüringen gerechnet.

Allein bis zum Jahr 2030 wird Thüringen rund 400.000 weitere Einwohner verlieren, ein Minus von 18 %.

Aber es ist nicht allein der Bevölkerungsrückgang, der Probleme bereitet, sondern auch die Verschiebung in der Altersstruktur.

Erfreulicherweise werden die Thüringerinnen und Thüringer immer älter.

Vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2010 erhöhte sich das Durchschnittsalter in Thüringen um rund 8 Jahre.

Ende des 19. Jahrhunderts lag der Anteil der über 65-Jährigen in Deutschland bei 6 Prozent der Bevölkerung.

Am 31. Dezember 2011 waren 23 Prozent der Thüringer, also über 500.000 Personen, älter als 65 Jahre.

Bis zum Jahr 2030 wird der Anteil auf 37 Prozent steigen. Es werden dann mehr als 650.000 Thüringer älter als 65 Jahre sein.

Die Zahl der über 80-Jährigen wird von rund 125.000 auf mehr als 189.000 steigen.

Heute leben in Deutschland über 14.000 Menschen, die 100 Jahre und älter sind, davon rund 280 in Thüringen.

Die Zahl der über 100-Jährigen hat sich in den letzten 30 Jahren in Deutschland etwa verzehnfacht.

Im letzten Jahr gratulierte die Thüringer Ministerpräsidentin 135 Thüringerinnen und Thüringern zu ihrem 100. und zwei weiteren bereits zu ihrem 107. Geburtstag.

Dieser hohe Anteil älterer Menschen wirft natürlich Fragen nach der Zukunft der Pflege auf. Bei den unter 75-Jährigen sind unter 4 % an einer Demenz erkrankt, bei den über 90-Jährigen aber bereits ca. 41 %.

Aber auch die schmale junge Generation ist nicht ohne Probleme. Wo können sich heute Kinder und Jugendliche einander noch alltäglich begegnen außerhalb normierter Zusammenhänge und frei von Erwachsenen?

Die Möglichkeiten für Interaktionserfahrungen und soziale Lerngelegenheiten mit Peers, mit Gleichaltrigen, sinken.

Es sinken auch die Akzeptanz und das Verständnis für kindlichen Bewegungsdrang und Kinderlärm im öffentlichen Raum. Damit sind wir auch bei der Frage, wie wirkt sich eine unterjüngte Gesellschaft, überaltert lehne ich als Begriff ab, auf die Gestimmtheit einer Bevölkerung, auf ihren Elan, auf ihre Zukunftshoffnungen und damit auch auf ihre Bildungsziele aus.

Wenn Kinder zu einem „knappem Gut“ werden, steigen dann nicht die Gefahren der Überbehütung und „Infantilisierung“?

Bei der heranwachsenden Generation werfen die Verschiebungen in der schicht- und migrationsspezifischen Zusammensetzung ebenfalls Fragen auf.

So beträgt heute der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Stuttgart 39,0 Prozent. Deutschlandweit hat mehr als ein Drittel der Kinder im Vorschulalter einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen beherrschen zur Einschulung die deutsche Sprache nicht ausreichend. Das kann in der Konsequenz zu solchen Fällen führen, wie im vergangenen Jahr in Berlin-Neukölln, als drei Familien mit Migrationshintergrund gegen die schlechte Noten ihrer Kinder vor Gericht gezogen sind. Schuld sei der zu hohe Anteil von Migranten in ihrer Klasse.

Solche Probleme gibt es in Thüringen erst in Ansätzen in den größeren Städten.

Ein allgemeines Thüringer Problem ist aber bereits die regional ganz unterschiedliche Entwicklung der Zahl der künftigen Kita-Kinder, der Schüler und der Auszubildenden.

Um Schulschließungen zu vermeiden, gab es Bestrebungen, kleine Grundschulen mit jahrgangsübergreifenden Klassen einzurichten. International ist dieses Modell weit verbreitet und hat sich bewährt, da es auch bei niedriger Siedlungsdichte ein wohnortnahes Angebot ermöglicht. In Deutschland sind kleine Grundschulen – sogenannte Zwergschulen – jedoch schon fast verschwunden, weil sie von der Mehrheit der Eltern und Lehrer nicht akzeptiert werden. Das hat dazu geführt, dass seit 1995 in den ostdeutschen Ländern bis zu 40 Prozent der Grundschulen geschlossen wurden. Oft sind lange Schulbusfahrten die Folge.

Kein Wunder, dass es junge Frauen in die Städte zieht, wenn sie ihren Kindern das nicht zumuten möchten.

Demografie, Bildung, junge Frauen und ländlicher Raum sind noch aus einem anderen Grund ein Thema.

Zwischen 1999 und 2004 haben 31 Prozent aller jungen Frauen in den neuen Bundesländern die Schule mit dem Abitur verlassen, bei den jungen Männern waren es nur 21 Prozent. Die besseren Bildungsabschlüsse junger Frauen verstärken die Tendenz den ländlichen Raum zu verlassen. Das führt dazu, dass zum Beispiel im Jahr 2011 im Landkreis Demmin und im Landkreis Elbe-Elster auf 100 junge Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren jeweils 128 Männer dieses Alters kamen. Mit anderen Worten, in solchen Regionen kann über ein Fünftel der jungen Männer davon ausgehen vor Ort keine Ehefrau zu finden und keine Familie gründen zu können, mit allen weiteren und nicht nur demografischen Folgen, die das hat.

Demografischer Wandel und Bildung – was bedeutet das für die ältere Generation?

Im Berufsleben bedeutet es, dass die Zeiten der Frühverrentung vorbei sind. Vielmehr besteht ein stärkeres Interesse ältere Berufstätige nachzuqualifizieren, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Es bedeutet, älteren Arbeitslosen durch Qualifizierung doch noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Eine wichtige Aufgabe für Bildungsträger ist es auch – nicht nur allein mit Blick auf den Arbeitsmarkt – dafür zu sorgen, dass es in nicht dabei bleibt, dass in Deutschland mehr als 14 Prozent der potentiell Erwerbsfähigen funktionale Analphabeten sind.

Demografischer Wandel und Bildung bedeutet im Rentenalter, dass die Anzahl der Nachfragenden nach Erwachsenenbildung steigt. Vor drei Wochen konnte ich das sehr anschaulich im Lutherhaus in Jena erleben. Die dortige Bildungsarbeit in der nachberuflichen Lebensphase mit seinem Mittwochkreis hatte mich zu einem Vortrag eingeladen. Ich traf mit über hundert Teilnehmern ein sehr interessiertes und diskussionsfreudiges Publikum.

Ich fasse kurz zusammen, was ich bisher dazu ausgeführt habe, vor welche Herausforderungen uns der demografische Wandel – auch im Bereich der Bildung – stellt.

Da sind nicht nur der Rückgang der Bevölkerung in absoluten Zahlen, sondern auch drastische Verschiebungen in der Altersstruktur.

Da sind viele sogenannte „junge“ Alte, die aktiv und interessiert am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und für sie passende Bildungsangebote nachfragen; aber auch immer mehr Hochaltrige mit höheren Pflegebedarf, was wiederum entsprechenden Bildungsbedarf für pflegende Angehörige und Pflegepersonal auslöst.

Für ältere Erwerbsfähige besteht Bedarf an weiterer Qualifizierung, innerhalb aber auch außerhalb von Betrieben.

Wir haben weniger Kinder und Jugendliche, allerdings in regional sehr unterschiedlichem Maße. Insgesamt betrachtet erleben sie weniger Gleichaltrige und weniger nicht normierte Freiräume.

Steigende Anteile von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erfordern darauf abgestimmte Bildungsangebote.

Wir sehen bemerkenswerte geschlechterbezogene Differenzierungen der Bildungsverläufe und auch damit in Zusammenhang stehende Unterschiede der Verteilung der Geschlechter auf Stadt und Land, was gerade in ländlichen Räumen wiederum nicht ohne Folgen bleibt.

Sie sehen, an möglichen Ansatzpunkten für Ihre heutige Veranstaltung besteht wirklich kein Mangel.

Zum Abschluss möchte ich im Zusammenhang mit Demografie, Bildung und Religion noch einen Punkt ansprechen.

Eigentlich könnte die demografische Entwicklung ja langfristig die Position der Kirchen stärken. Studien zeigen, dass nicht nur international, sondern auch in Deutschland gläubige Menschen mehr Kinder bekommen als andere.

Nun gibt es aber auch die These, das läge nicht am Glauben selbst, sondern wäre auch ein Bildungseffekt, gläubige Menschen mit mehr Kindern hätten einfach eine geringere Bildung. Eine Untersuchung an der Universität Tübingen hat allerdings gezeigt, dass diese These für Deutschland nicht zutrifft.

Die evangelische Kirche muss sich also wegen der Wirkungen ihrer Bildungsarbeit keine Sorgen machen. In guter lutherischer Tradition kann sie sich sagen, sie schadet damit weder dem Glauben noch der demografischen Entwicklung.

„Alte, die immer aktiver werden und Junge, die es wegzieht – Generationen im Wandel! Stirbt Thüringen aus oder welche Projekte brauchen wir?“

Vortrag bei der Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Mit 100 hat man noch Träume“, 22. Oktober 2014, Lutherhaus Jena, Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Jena

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Veranstalter haben mir für meinen Vortrag das Thema gestellt: „Alte, die immer aktiver werden und Junge, die es wegzieht – Generationen im Wandel! Stirbt Thüringen aus oder welche Projekte brauchen wir?“

Mein Vortrag gehört zum Rahmenprogramm der Ausstellung „Mit 100 hat man noch Träume“. Es war mir eine Freude, diese Ausstellung mit Fördermitteln aus meinem Bereich unterstützen zu können. Der Titel der Ausstellung trifft die Aussage, dass von etwas zu träumen kein alleiniges Vorrecht der Jugend sei, sondern auch zum hohen Alter gehöre.

Aber was ist überhaupt „Alter“? Letztlich ist Alter ein relativer Begriff. Am 30. September fand in Erfurt eine Fachtagung der Thüringer Landesseniorenvertretung zum Thema „Der Alltag von hochaltrigen Menschen: Teilhabegefährdungen und –chancen“ statt. Zu den Vortragenden gehörte auch Herr Joseph Hinke, ein 99-Jähriger aus Saalfeld, der über seine Lebenserfahrungen und Aktivitäten berichtete. Er lebt in einer betreuten Wohnform in der Nachbarschaft eines Pflegeheims und betonte, dass er „noch nicht zu den alten Leuten“ im Pflegeheim gehöre.

Alte, die immer aktiver werden“ – den Anfang des mir gestellten Vortragsthemas würde Herr Hinke vielleicht so gar nicht für sich gelten lassen, denn alt sind für ihn jene, die keine Aktivitäten mehr entfalten und nur noch passiv dahinleben.

Aber auch, wenn man nicht nach dem Grad der aktiven Lebensgestaltung, sondern nach den tatsächlichen Lebensjahren fragt, bleibt für die größte Spanne der Lebenszeit Alter etwas Relatives.

Egal in welcher Generation man die Frage stellt, wer für alt gehalten wird, liegt der Altershorizont durchgängig etwas zwanzig Jahre entfernt. So ist für einen 15-Jährigen ein 35-Jähriger alt und für einen 75-Jährigen ein 95-Jähriger.

Der Generali Zukunftsfonds wollte es genauer wissen und hat 2013 in seiner Altersstudie zur Lebenswelt der 65- bis 85-Jährigen auch gefragt, ob man sich selbst für alt hält. Das Ergebnis lautete: 58 % der Befragten würden sich selbst nicht als „alte“ Menschen bezeichnen. Fragte man allein die 65- bis 75-Jährigen, sind es sogar 67 %.

1997 starb in Frankreich im Alter von 122 Jahren die erste und bisher weltweit einzige Frau, für welche zweifelsfrei dokumentiert werden konnte, dass sie älter als 120 Jahre geworden ist. In hundert Jahren dürfte sie vermutlich größere Gesellschaft bekommen haben und vielleicht werden im Jahr 2114 dann 100-Jährige entsprechend der genannten „20-Jahre“-Regel die über 120-Jährigen und nicht sich selbst für alt halten. Übrigens gibt es Bevölkerungsforscher, die davon ausgehen, dass bereits ein Viertel der jetzt geborenen Mädchen 100 Jahre alt werden.

Heute leben in Deutschland über 14.000 Menschen, die 100 Jahre und älter sind, davon rund 280 in Thüringen. Die Zahl der über 100-Jährigen hat sich in den letzten 30 Jahren in Deutschland etwa verzehnfacht.

Wer jetzt in Thüringen 100 Jahre alt wird, und wer dem Einwohnermeldeamt die Weitergabe dieser Information und der Kontaktdaten nicht untersagt hat, bekommt auch ein Glückwunschschreiben aus der Staatskanzlei.

Im letzten Jahr gratulierte die Thüringer Ministerpräsidentin 135 Thüringerinnen und Thüringern zu ihrem 100. und zwei weiteren bereits zu ihrem 107. Geburtstag. Eine der beiden, Gerda-Marie Becker, feierte als älteste Thüringerin am 14. April 2014 in Gotha bereits ihren 108. Geburtstag. Auch sie muss trotz ihres hohen Alters relativ aktiv sein, denn sie lebt noch allein in ihrer Wohnung in der Gothaer Innenstadt.

„Alte, die immer aktiver werden“ – das kann auch so aussehen, wie bei Johanna Quaas aus Halle. Das Bild zeigt sie bei einem Wettkampf in Cottbus vor zwei Jahren. Dabei erstellte Videos erreichten bei YouTube binnen kürzester Zeit mehrere Millionen Aufrufe und bescherten ihr einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als „älteste Turnerin der Welt“.

Aktiv im Alter umfasst aber mehr als in Bewegung bleiben. Die schon erwähnte Altersstudie von Generalie fragte auch nach ehrenamtlichen Aktivitäten. Danach engagieren sich 45 Prozent der befragten 65- bis 85-Jährigen in mindestens einem von elf gesellschaftlichen Bereichen. Selbst unter den 80- bis 85-Jährigen der Befragten sind es immer noch 29 Prozent. Schwerpunkte des Engagements stellen die Kirche, Freizeit und Geselligkeit, Sport und Bewegung, Kultur und Musik sowie soziale Bereiche dar, in denen sich jeweils zwischen 10 und 15 % der 65- bis 85-Jährigen engagieren.

Der zeitliche Umfang des aktuell geleisteten Engagements liegt durchschnittlich bei 4,2 Stunden pro Woche. Immerhin 32 % der Engagierten haben sich vorher nicht so stark, 23 % sogar gar nicht engagiert – und wurden erst im Alter aktiv. Dennoch bleib es der beste Einstieg in ein aktives Alter, wenn man sich vor dem Rentenalter nicht einzig und allein auf den Beruf beschränkt hat.

Nach allen bekannten Erhebungen geht es der heutigen Rentnergeneration so gut, wie keiner zuvor. Sie ist aktiver, gesünder, wohlhabender als je zuvor. Der Blick darauf, wer alt ist, hat sich sehr verändert.

Wenn man alte Darstellungen der Lebensstufen betrachtet, dann sieht man, dass das Bild des Alters früher vor allem von Verlust und Gebrechen gekennzeichnet war.

Heute unterteilt man das Alter in zwei getrennte Abschnitte. Nach den früheren jungen, mittleren und alten Lebensabschnitten wurde ein viertes Lebensalter eingeführt, das der Hochaltrigen, welches man je nach Einteilung mit 80 oder 85 Jahren beginnen lässt.

Davor liegt das Lebensalter der sogenannten „Jungen Alten“, die von Marketingstrategen als neue, wichtige Konsumentengruppe entdeckt noch mit vielen weiteren schönen Namen bedacht werden, wie „Best Ager“, „Golden Ager“, „Silver Surfer“, „Master Consumer“, „Senior Citiziens“ oder „Woopies“.

Nun kann man natürlich darüber lamentieren, dass es Senioren heute vielleicht schwerer gemacht wird in Würde zu altern, aber insgesamt sollte doch die Entwicklung, dass immer mehr Menschen das Rentenalter erreichen und für viele Jahre bei guter Gesundheit verbringen ein Grund zur Freude sein.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Chancen dafür schlechter standen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland hat sich in den hundert Jahren  von 1850 bis 1950 von 45 Jahren auf 70 Jahre verdoppelt – vor allem durch das Sinken der Kindersterblichkeit – und hat sich bis 2011 auf 85 Jahre erhöht.

Das Unwort des Jahres 1996 war der Begriff „Rentnerschwemme“. Da fehlt nur noch die „freundliche“ Bemerkung über das „sozial verträgliche Frühableben“. Aber das Problem unserer Gesellschaft, vor dem wir jetzt und die nächsten Jahre stehen, ist nicht die „Überalterung“ – für mich auch ein Unwort –, sondern die Unterjüngung.

Ein Vergleich des Altersaufbaus der Thüringer Bevölkerung zwischen den Jahren 2010 und 2020 zeigt dies sehr anschaulich.

Nach den vorliegenden Bevölkerungsvorausberechnungen wird sich die Einwohnerzahl Thüringens in den hundert Jahren von 1950 bis 2050 annähernd halbiert haben, von ehemals 2.932.242 auf dann 1.538.200. Bis zum Jahr 2030 wird Thüringen rund 400.000 Einwohner verlieren, das entspricht etwa minus 18 Prozent. Dabei verläuft die Entwicklung regional betrachtet sehr unterschiedlich. Nach den gegenwärtigen Prognosen kann in Jena mit +5% und in Erfurt mit +2%gerechnet werden, in Gera jedoch mit -22% und im Landkreis Greiz mit -32%.

Früher sprach man beim Bevölkerungsaufbau von einer Pyramide, dann eher von der Form einer Glocke oder eines Bienenstocks, später von einer Urne und inzwischen könnte man in Thüringen auch das Bild einer Bohnenstange bemühen.

Die Veränderungen des Bevölkerungsaufbaus  für das Land Thüringen in den Jahren 2010 bis 2060 zeigen anschaulich, wie sich im Lauf der Jahrzehnte die Form verändert. Am Bevölkerungsaufbau 2010 kann man sehr gut die Einschnitte durch den Zweiten Weltkrieg, den Pillenknick und die demografische Vollbremsung Anfang der 90er Jahre erkennen. Im Vergleich der Jahrzehnte ist zu sehen, wie sich der letztere Einschnitt immer weiter nach oben schiebt.

Wie sich die Gewichte der Altersgruppen verschieben, lässt sich auch an deren prozentualer Verteilung in einer Darstellung des Zeitraums von 1871 bis 2050 zeigen. Näherte sich der Anteil der Generationen unter 20 Jahren Ende des 19. Jahrhunderts 50 Prozent, wird er 2050 nur noch um die 15 Prozent betragen, während sich der Anteil der über 65-Jährigen von 6 auf über 30 Prozent steigern wird.

Betrachtet man diese Entwicklung nur für die neuen Bundesländer und vergleicht sie mit den alten Bundesländern zeigen sich zwar in den neuen Bundesländern die stärkeren Veränderungen, aber sie verlaufen doch auf längere Sicht sehr ähnlich. Vergleicht man nur die Thüringer Zahlen mit denen des gesamten Bundesgebietes zeigt sich ein ähnliches Bild, Thüringen scheint der gesamtdeutschen Entwicklung nur bereits etwas voraus zu sein.

Wenn man sich die Thüringer Zahlen auf den Migrationshintergrund hin an ansieht, könnte man sich eine positive Auswirkung erhoffen. Allerdings sind dazu deren absolute Zahlen noch zu gering. So macht bei Migranten der Anteil der über 65-Jährigen nur etwa ein Drittel das Anteils der sonstigen Thüringer Senioren aus, aber die Auswirkung liegt bei einer Absenkung von gerade einmal 0,2 Prozent und der Anteil der unter 18-Jähringen erhöht sich durch junge Migranten nur um 0,4 Prozent.

Schaut man sich dann noch die schulische Situation und die Integration von Migranten insgesamt an, wäre das ein Thema für einen eigenen Vortrag. Hier bleibt noch sehr viel zu tun.

Hier noch ein paar Zahlen zur demografischen Situation in Thüringen. Von 1990 bis 2010 erhöhte sich das Durchschnittsalter in Thüringen um rund 8 Jahre. Am 31.12.2011 waren 514.459 Thüringer, 23 % der Bevölkerung, älter als 65 Jahre. Bis 2020 wird der Anteil auf 35 % steigen, bei 10 % Rückgang der Gesamtbevölkerung. Bis 2030 wird der Anteil auf 37 % steigen, bei dann mehr als 650.000 Thüringern, die älter als 65 Jahre sind. Die Zahl der über 80jährigen wird von 124.545 auf mehr als 189.000 steigen.

Auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren werden im Jahr 2030 die Zahl von rund 70 Personen über 65 Jahre entfallen. Etwas verkürzt und gerundet könnte man sagen, stehen heute 10 Erwerbsfähigen 3 Rentner gegenüber, so werden es im Jahr 2030 in Thüringen 7 Rentner sein. Von 2005 zu 2020 wird ein Rückgang der Erwerbspersonen um 19,4 Prozent prognostiziert.

Wäre Thüringen ein selbständiges Land, hätten wir ein erhebliches Problem mit fehlenden Einzahlern in die Rentenkassen. Zum Glück ist die Rentenversicherung nicht in föderaler Zuständigkeit wie Schulwesen oder die Polizei, aber dennoch wird sich die Situation der Thüringer Rentner aufgrund der vielen zum Teil mehrfach gebrochenen Erwerbsbiographien der letzten 25 Jahre im Lauf der nächsten Jahre insgesamt nicht verbessern.

Und anders als in alten Bundesländern kann nicht in größerem Maße auf erworbene Vermögen zur Alterssicherung zurückgegriffen werden. Die unterschiedlichen Möglichkeiten des Vermögensaufbaus in den 40 Jahren der Teilung zeigen sich sehr deutlich am Aufkommen der Erbschaftssteuer. Hier sind die Unterschiede nach wie vor drastisch und mit einer raschen Angleichung in absehbarer Zeit dürfte eher nicht zu rechnen sein.

Apropos Geld. Auch auf die öffentlichen Finanzen wirkt sich der demografische Wandel in starkem Maße aus. Die Finanzmittelausstattung des Freistaats Thüringen wird 2020 im Vergleich zum Jahr 2011 nur noch rund 83 Prozent betragen. In Abhängigkeit vom gesamtdeutschen Steueraufkommen verliert Thüringen mit jedem Einwohner rd. 2.500 Euro. Der skizzierte Einwohnerrückgang in Thüringen führt damit pro Jahr zu Mindereinnahmen von 50 Mio. Euro. Die neuen Länder sind ab 2014 nicht mehr Ziel-1-Gebiet der EU-Förderung. Der Solidarpakt II wird 2019 auslaufen. 2012 hat Thüringen daraus noch 1,3 Mrd. Euro erhalten. Bei einem Gesamtlandeshaushalt von knapp 9 Mrd. Euro sind dies rund 14% der Einnahmen gewesen. Um die gesetzlich eingeführte Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 einzuhalten, muss das Haushaltsvolumen bereits jetzt reduziert werden.

Was bedeutet das für die öffentliche Verwaltung? Bei einem Gesamtlandeshaushalt von knapp 9 Mrd. Euro machen allein die Personalausgaben 2,3 Mrd. Euro aus.

Also muss die Anzahl der Mitarbeiter und der Umfang der Verwaltungsstrukturen weiter abgesenkt werden. Dabei ist aber eine leistungsfähige Verwaltung zu erhalten, die weiter die erforderlichen Dienstleistungen für Bürger und Wirtschaft in der notwendigen Qualität erbringt (Siehe z.B. Lebensmittelsicherheit und Seuchenschutz). Den größten Anteil am Personalbestand des Landes haben Polizisten und die Lehrer der staatlichen Schulen, deren Anzahl nicht beliebig verringert werden kann.

Eine der großen Gefahren des demografischen Wandels ist eine Schrumpfungsspirale, die wir in Teilen des ländlichen Raumes schon beobachten können, in die wir aber als gesamtes Land nicht hinein geraten dürfen. Senken wir das Niveau der öffentlichen Infrastruktur, zu der auch Innere Sicherheit und Schullandschaft gehören, ab, so sinkt die Attraktivität, die Gefahr der Abwanderung steigt und Zuzug stellt sich eher nicht ein.

„… Junge, die es wegzieht“ – stand im Thema, das sie mir gestellt haben. Nun, das ist zum Glück nicht mehr in dem Maße ein Thema, wie es das Anfang und Mitte der Neunziger Jahre war. An den Wanderungssalden der letzten acht Jahre ist zu sehen, dass die Gefahr des Aussterbens der Thüringer durch Abwanderung doch deutlich gesunken ist, ja das wir im letzten Jahr sogar erstmalig, wenn auch nur minimal, in den positiven Bereich gelangt sind. (2013 insgesamt: 43.471 Fortzüge, 43.623 Zuzüge)

Nun, wenn wir an diesem Punkt in die Diskussion einsteigen würden, gäbe es sicher unter Ihnen welche, die mir entgegen halten würden, dass Sie diesen oder jenen bestens ausgebildeten jungen Menschen kennen, der Thüringen verlassen hat und sein Glück woanders sucht. Sicher gibt es das und Sie sehen ja auch in der Statistik, dass die Gruppe der 25- bis 30-Jährigen bei der Abwanderung am stärksten vertreten ist. Im letzten Jahr betrug der Saldo minus 1.712 Personen. Er kommt dadurch zustande, dass 10.120 Personen in diesem Alter aus Thüringen fortzogen und nur 8.408 zuzogen.

Dies dürfte dadurch zustande kommen, dass ein Teil derjenigen die ihr Studium in Thüringen beenden, aus anderen Bundesländern stammen, aber auch dadurch dass Thüringer Absolventen neue Perspektiven außerhalb Thüringens suchen. Wir wollen und können sie nicht zwingen hier zu bleiben. Die Zeiten von Mauer und Stacheldraht, von Absolventenlenkung und Unterbindung des Arbeitsplatzwechsels sind vorbei. Ja es sollte zur Normalität gehören, dass junge Menschen an vielen Orten außerhalb Thüringens ihre Erfahrungen sammeln können.

Entscheidend ist aus meiner Sicht nur, dass sich Thüringen so attraktiv entwickelt, dass sie früher oder später nach Thüringen zurückkommen wollen. Am besten eher früher, denn wenn zum Beispiel junge Frauen erst einmal anderswo Familien gegründet haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Rückkehr deutlich.

Im Thema, das mir für meinen Vortrag gestellt wurde heißt es: „Welche Projekte brauchen wir?“ Nun Projekte sind schön und gut, denn sie zeigen, was man machen könnte, wenn man denn nur Geld und Personal hätte. Aber viel entscheidender für die demografische Entwicklung Thüringens als einzelne Projekte ist die Wirtschaftspolitik. Viele junge Menschen bleiben nur in Thüringen oder kommen hierher, wenn sie die Aussicht auf einen attraktiven Arbeitsplatz haben. Auf den drastischen Produktionsrückgang in den Jahren 1990/91, in dessen Folge bis zum Jahr 1992 etwa jeder zweite Industriebeschäftigte seinen Arbeitsplatz verlor, folgte ab Mitte der 1990er Jahre eine bis heute anhaltende Aufwärtsentwicklung. Thüringen verfügt heute über eine breit aufgestellte, mittelständisch geprägte Industrie mit Branchen wie die Optik, Medizintechnik, Automobil- und Automobilzulieferindustrie, Maschinenbau, Logistik, Metallverarbeitung, das Ernährungsgewerbe sowie die Gummi- und Kunststoffindustrie. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist der Tourismus.

In Thüringen gibt es in den Industrie-Branchen rund 90.000 Unternehmen. Sie konzentrieren sich auch nicht auf wenige Standorte. In den Städten Erfurt, Weimar und Jena sind nur 11 % der Thüringer Industriebeschäftigten tätig, also sind es immerhin 89 % in anderen Thüringer Regionen, zum Beispiel im sich stark entwickelnden Südthüringen oder in der Region um Rudolstadt, Saalfeld und Ilmenau.

Die Thüringer Wirtschaft ist in besonderer Weise durch kleine und mittlere Betriebe geprägt. Der Umsatzanteil von kleinen und mittelständigen Unternehmen (KMU) liegt in Thüringen bei 76 % und ist damit mehr als doppelt so hoch wie im gesamtdeutschen Durchschnitt von 37 % (Durchschnitt der neuen Länder: 59 %). Dies hat zwar die Vorteile der großen Flexibilität und schnellen Reaktion auf Marktbewegungen, aber auch strukturbedingte Nachteile, wie z. B. tendenziell höhere Produktionskosten, zu wenig Forschung und Entwicklung, Probleme bei der Erschließung neuer Märkte und bei der Gewinnung von Fachkräften, häufig eine geringe Eigenkapitalausstattung und geringe Marktmacht bei der Preisgestaltung.

Thüringen benötigt mittelfristig mehr Großunternehmen, entweder dadurch dass sich Thüringer KMU zu solchen entwickeln oder sich externe Großunternehmen in Thüringen ansiedeln.

Die Thüringer Erwerbstätigenquote, bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis unter 65 Jahre, liegt seit 1997 ständig über dem ostdeutschen Durchschnitt, seit 2009 auch über dem westdeutschen Durchschnitt.

Zum Stichtag 31.12.2012 war sie höchste in ganz Deutschland. Im letzten Jahr hatte Thüringen rund 137.000 Industriebeschäftigte. Im Sektor der unternehmensnahen Dienstleistungen nahm die Zahl der Erwerbstätigen auf knapp 150.000 zu. Ähnlich hoch ist mit 144.000 die Beschäftigtenzahl im Handwerk, das traditionell eine tragende Säule der Thüringer Wirtschaft mit hoher beschäftigungspolitischer Bedeutung ist. In Thüringen gab es 2010 knapp 31.900 Handwerksbetriebe.

Bei der Betriebsdichte im Bereich des Handwerks, die die Zahl der Betriebe mit der Bevölkerungszahl in Beziehung setzt, gehört der Freistaat seit vielen Jahren zur Spitzengruppe der Länder.

Bei den Ausbildungsplätzen gab es in Thüringen lange Zeit ein Defizit. In den Jahren 2009 und 2010 deckten sich Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen nahezu. Seit 2011 haben wir zu wenig Nachfrage, es bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt. Wir hatten in Thüringen lange Zeit einen starren Arbeitsmarkt. Wegen der massiven Frühverrentung gab es nur noch geringe laufende Verrentung, also wenig Ersatzbedarf. Es gab wenig Fluktuation und auch wenig Erweiterungsbedarf.

Dies ändert sich jetzt grundlegend.

Nach den vorliegenden Prognosen scheiden bis 2026 etwa 502.000 Personen im Land altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt aus, die Altersgruppe der heute 50- bis 64-Jährigen, während nur rund 236.000 nachrücken, die Altersgruppe der heute 3- bis 18-Jährigen), wodurch – lässt man Wanderungseffekte außen vor – eine Lücke von rund 266.000 Erwerbsfähigen entstünde, die die Zahl der Arbeitslosen um ein Vielfaches übersteigt.

Daher stellt die Gewinnung von Zuwanderern im Wettbewerb mit anderen Regionen in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderung für die Thüringer Wirtschaft dar. In Thüringen werden nach wie vor vergleichsweise niedrige Löhne und Gehälter gezahlt. Einkommenssteigerungen werden aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Wettbewerbs um Fachkräfte notwendig sein. Einkommenssteigerungen wirken gleichzeitig der weiteren Abwanderung entgegen.

Thüringen hat die Chance, über Weichenstellungen am Arbeitsmarkt die Herausforderungen der Bevölkerungsentwicklung teilweise zu kompensieren.

Neben der besseren Erschließung des vorhandenen Potenzials bilden der Zuzug von Erwerbspersonen aus anderen Ländern und das Zurückgewinnen von Pendlern und Fortgezogenen wichtige Ressourcen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Unternehmen in Thüringen attraktive Arbeitsplätze und ein gutes Entlohnungsniveau bieten.

Wichtig für die demografische Entwicklung ist natürlich auch die Familienpolitik. Ich denke hier beispielsweise an familienbewusste Arbeitszeiten, weitere Flexibilisierungen der Elternzeit, den Ausbau der Kinderbetreuung durch Kindertagesstätten und Tagesmütter, die Unterstützung durch lokale Bündnisse für Familie und die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen. Aber auch an dieser Stelle will ich noch einmal auf die wirtschaftliche Situation zurückkommen, denn an der Zahl der Kinder pro Familie zeigt sich sehr deutlich, dass die allgemeinen Maßnahmen der Familienpolitik dennoch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Betrachtet man die Haushaltseinkommen von Familien mit mehr als zwei Kindern ergibt sich eine U-Form. Solange für junge Familien, die nicht auf Sozialleistungen angewiesen bleiben wollen, ein Einkommen nicht ausreicht und eine junge Frau sich Sorgen machen muss, ob und wie sie nach einer Auszeit wieder beruflich einsteigen kann, wird sich hier nichts ändern.

Veränderungen in Bevölkerungszahl und -struktur verlangen auch eine Weiterentwicklung des Bildungssystems. Dazu gehören die Ausrichtung des Schulwesens auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft durch moderne Lehr- und Lernmethoden und soziale Integration, die Qualifizierung und Berufsorientierung, attraktive Hochschulen sowie die weitere Verankerung des lebenslangen Lernens.

Lokale demografische Abwärtsspiralen setzen nicht selten mit einer Schulschließung ein, denn junge Familien bevorzugen Schulstandorte. Um weiterhin eine wohnortnahe Beschulung zu gewährleisten, muss auch darüber nachgedacht werden, den Unterricht jahrgangsgemischt und in Kooperation von mehreren Grundschulen zu organisieren.

Die altersgemischte Schuleingangsphase, in der Schüler aus mehreren Jahrgängen einer Grundschule gemeinsam in einer Klasse lernen, bietet dafür eine Möglichkeit.

Um dem steigenden Altersdurchschnitt der Lehrerkollegien entgegenzuwirken und vor allem um erfolgreichen Lehramtsanwärtern eine berufliche Perspektive in Thüringen zu bieten, muss die Zahl der neu eingestellten Lehrer erhöht worden. Für Lehrer ergibt sich in den nächsten zehn Jahren ein Ersatzbedarf von über 38 %.

Ein weiterer Punkt bei der Frage nach Antworten auf den demografischen Wandel ist der Wohnungsbau. Die Siedlungsentwicklung in Thüringen verläuft sehr unterschiedlich. In Regionen mit abnehmender Bevölkerung steigt die Anzahl an Baulücken und nicht genutzten Grundstücken. Die fehlende Nutzung leerstehender Immobilien bereitet hier Probleme.

Senioren werden nach seniorengerechten Wohnungen fragen. Gerade für ältere Menschen, aber auch für junge Familien mit Kindern werden Innenstädte bzw. Ortskerne mit ihren fußläufig erreichbaren Infrastruktur- und Dienstleistungsangeboten immer wichtiger.

Fehlendes Eigenkapital der Hausbesitzer steht aber in vielen Fällen der Sanierung der alten Gebäude entgegen, so dass sich das Angebot an geeignetem Wohnraum in den Innenstädten trotz bestehender Nachfrage nur langsam erhöht.

Für die Städte entstehen aus dieser Situation entspannte Wohnungsmärkte auf der einen sowie Verdrängungstendenzen auf Grund hoher Mieten auf der anderen Seite.

Die Kommunen stehen vor der Aufgabe, hier zukunftsfähige Ansätze sowohl für die Innenstädte als auch für die großen Neubaugebiete zu finden. Dazu gehören Konzepte zu seniorengerechtem, zu barrierefreiem bzw. barrierearmen und generationsübergreifenden Bauen, zur Nutzungsmischung bis hin zur Wiedernutzung von Gebäuden und Brachflächen in innerstädtischen Bereichen.

Wie sieht es mit den Wohnwünschen von Senioren aus? Eine entsprechende Studie zeigt, dass die Senioren-WG eher nicht der Wunschtraum der meisten ist, obwohl es prominente Fürsprecher dafür gibt. Henning Scherf wirbt in seinem Buch auch für die Alten-WG. Über weiter gemeinschaftliche Wohnformen in Thüringen kann man sich beim WohnStrategen e.V. in Weimar informieren.

Die vorletzte Nennung der Übersicht war etwas missverständlich, denn unter einem Mehrgenerationenhaus wird nach dem gleichnamigen Bundesprogramm ein Begegnungszentrum verstanden. Der andere Begriff dafür wäre Generationswohnen  wie es zum Beispiel in Arnstadt gibt.

Zum Jahreswechsel 2009/2010 zogen etwa 90 Menschen in das erste gemeinschaftlich orientierte Mietwohnprojekt dieser Dimension in Thüringen ein.

Bei der Frage, wie man das Leben im Alter gestalten kann, gibt es natürlich Unterschiede zwischen Stadt und Land. Hier stellvertretend zwei Beispiele einmal aus Erfurt. In der Nähe des Zooparks, im sogenannten Giraffenhaus wurden die acht Wohnungen der 7. Etage in sieben barrierearme Wohnungen umgebaut. Es wurden der Grundriss verändert, bodengleiche Duschen, höhenverstellbares WCs sowie Notrufanlagen mit zwei Bedienstellen im Schlafzimmer und Bad eingebaut, der Balkonaustritt barrierearm gestaltet ein Gemeinschaftsraum eingerichtet.

Im Unstrut-Hainich-Kreis hingegen hat man ausreichend Platz um ebenerdig seniorengerechten Wohnraum zu gestalten. Hier war die Grundidee, dass die Senioren dafür ihre ehemaligen Immobilien in eine Stiftung einbringen, damit sie von jungen Familien genutzt werden können.

In der Übersicht nicht aufgeführt war ein Seniorenheim, wie es z.B. der ältere Bruder unseres ehemaligen Ministerpräsidenten bewohnt. In Thüringen wohnen nur 3 Prozent der über 60-Jährigen in einem Heim. Aber auch hier gibt es in Thüringen interessante Vorhaben, wie in Tambach-Dietharz, mit der Kombination verschiedener Wohnformen, oder in Kahla, wo die Gestaltung in bemerkenswerter Weise auf demente Bewohner eingestellt ist.

Damit sind wir bei einem weiteren Thema, der Pflegesituation in Thüringen angekommen, womit allein sich ein längerer Vortrag bestreiten ließe. Hier nur soviel, dass sich natürlich auch die Situation in der Pflege verändern wird. Die Zahlen werden steigen. Und der Anteil häuslicher Pflege wird sinken. Zwischen 1999 und 2011 hat eine signifikante Verschiebung des Verhältnisses informeller Pflege, Selbstpflege und Pflege durch Angehörige, und formeller Pflege, berufliche bzw. professionelle Pflege, stattgefunden:

Die Anzahl von Empfängern von ausschließlich Pflegegeld ist im genannten Zeitraum zwar von 33.825 auf 40.135 deutlich angestiegen, allerdings ist deren Anteil an allen Pflegebedürftigen von 56,1 % auf 47,8 % zurückgegangen

Der Grund dafür ist einfach zu finden: Die Anzahl an 20 bis 60-Jährigen Frauen, welche die Hauptlast der Angehörigenpflege tragen, sinkt von 592.000 im Jahr 2012 auf 370.000 im Jahr 2030, was einem Rückgang von 37 % entspricht.

Der Anteil an Singlehaushalten ist in Thüringen zwischen 2005 und 2012 von 37 % auf 39 % angewachsen.

Interessant wird sein, ob mittelfristig die Gründe gegen oder für mehr häusliche Pflege überwiegen. Aber natürlich muss sich auch in der beruflichen Pflege in Thüringen noch etwas tun, wie unschwer zu sehen ist. Auf die Frage, wie reagieren wir auf die Verschiebung der Altersstruktur der Generationen, auf den demografischen Wandel, habe ich jetzt etwas zu den Öffentlichen Finanzen, zu Verwaltung, Wirtschaft, Familien, Bildung, Wohnen und Pflege gesagt. Es ist also ein sehr breites Feld, in dem in allen Bereichen reagiert werden muss. Trotzdem ist es wichtig, die verschiedenen Themen auch zusammenzufassen und dafür entsprechende Strukturen zu schaffen.

Vor zehn Jahren, im Jahr 2004 wurde die interministeriellen Arbeitsgruppe „Demografischer Wandel“ eingerichtet. Im Jahr 2011 wurde im Geschäftsbereich des Thüringer Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Verkehr die „Serviceagentur Demografischer Wandel“ etabliert, welche unter anderem zu diesem Thema auch Beratung anbietet. 2011 wurde auch der erste Teil des Thüringer Demografieberichts veröffentlicht und begonnen sich an der Mitteldeutschen Demografieinitiative zu beteiligen.

Im Jahr 2012 folgten die Teile 2 und 3 des Demografieberichts, speziell zu den Themen Schwerpunkte der Daseinsvorsorge, Fachkräfteperspektive und Entwicklung des Schulsystems. Ebenfalls in diesem Jahr wurde im Geschäftsbereich des Innenministeriums das „Thüringer Zentrum für interkommunale Kooperation“ ins Leben gerufen. Wie bereits erwähnt, verläuft die Bevölkerungsentwicklung in Kreisen und Gemeinden sehr unterschieldlich, Schrumpfung und Wachstum liegen häufig dicht beieinander. Daher sind kleinräumige Betrachtungen und lokale Strategien erforderlich. Vor diesem Hintergrund sind Beratung und Service für Kommunen Kernanliegen des „Thüringer Zentrum für interkommunale Kooperation“. Im letzten Jahr wurde begonnen eine sogenannte Demografiestrategie zu erarbeiten.

Wo gegen wir uns in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion um die demografische Entwicklung wehren müssen, sind Klischees vom Alter, die vom Thema Demenz beherrscht werden. Es ist ein neues gesellschaftliches Verständnis vom „Alter“ notwendig.

Das bisher in unserer Gesellschaft überwiegende Bild des Alterns verbunden mit Defiziten und Belastungen muss durch ein Bild von Potenzialen und Chancen abgelöst werden. Dazu muss es natürlich auch Gelegenheiten geben, wo diese genutzt werden können. Und hier komme ich am Ende meines Vortrages doch noch auf drei Projekte zu sprechen.

Orte der gesellschaftlichen Teilhabe können Mehrgenerationenhäuser sein.

Mehrgenerationenhäuser schaffen generationenübergreifende Angebote und verfolgen damit die Wiederbelebung einer bürgerschaftlichen, generationenübergreifenden Struktur. Hier begegnen sich Jung und Alt in einem öffentlichen Raum in ihrer Nachbarschaft und profitieren von ihren unterschiedlichen Kompetenzen, Erfahrungen und Interessen. Mehrgenerationenhäuser haben sich zu Plattformen für Freiwilliges Engagement entwickelt. Mehrgenerationenhäuser können auf einer niedrigschwelligen Ebene Angehörige aller Generationen attraktiv und zugänglich wirken. In der zweiten Programmphase des Bundesaktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser sind die Themenschwerpunkte „Alter und Pflege“, „Integration und Bildung“’, „Haushaltsnahe Dienstleistungen“ und „Freiwilliges Engagement“. Sie können damit eine wichtige Funktion in der sozialen Infrastruktur von Kommunen erfüllen.

Zurzeit gibt es in Thüringen 25 Mehrgenerationenhäuser. Eine zweite Möglichkeit sich zu engagieren ist der Bundesfreiwilligendienst, bei welchem die unterschiedliche Altersstruktur zwischen den neuen und den alten Bundesländern auffällt. Aufgrund der anderen Erwerbsbiographien sind der Wille und die Bereitschaft sich in diesem Rahmen zu engagieren unter den älteren Jahrgängen in neuen Bundesländern deutlich ausgeprägter. Hier sind besonders viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu finden. Wobei der Bundesfreiwilligendienst allerdings nicht als arbeitsmarktpolitische Maßnahme missverstanden werden darf, das geben schon die absoluten Zahlen nicht her.

Von den 2.687 Thüringer Bundesfreiwilligen im September sind 91 bereits über 65 Jahre. Gäbe es die Möglichkeit weniger als 20 Wochenstunden zu leisten, wie dies im Freiwilligendienst aller Generationen der Fall war, könnte diese Zahl sicher noch höher sein. Zuletzt möchte ich noch auf eine dritte Möglichkeit des Engagements im Alter zu sprechen kommen, die man auch mit der sogenannten Großmutterhypothese in Zusammenhang bringen kann.

Evolutionsbiologen haben auf die Frage, warum Frauen eigentlich noch so lange weiterleben, obwohl sie ab einem bestimmen Alter keine Nachkommen mehr in die Welt setzen, die Antwort gegeben, dass sich für den Erfolg der gesamten menschlichen Population die Unterstützung bei der Aufzucht der Enkelgeneration viel bezahlter gemacht hat. Zumal menschliche Kleinkinder durch die Art ihrer Hirnentwicklung extrem lang unselbständig und pflegebedürftig sind.

So gesehen wären die Evolution der Großmutter und die Evolution des großen menschlichen Gehirns eng miteinander verknüpft. Sorge für die Enkel kann etwas sehr Schönes sein, aber auch anstrengend. Jedenfalls sieht diese ältere Dame etwas erholungsbedürftig aus.

Aber auch in Deutschland sind die Zeiten, in denen sich Großmütter im wahrsten Sinne des Wortes für ihre Nachkommen krumm gemacht haben, noch nicht lange vorbei, wie dieses Bild „Der erste Schnee“ von Ludwig Richter zeigt.

Bei den Beziehungen der Generationen geht es bei Menschen aber nicht nur um die Sicherung des nackten Überlebens, sondern auch um die Weitergabe der kulturellen Leistungen. Ohne die kulturelle Evolution wären die Menschen in evolutionsgeschichtlich so kurzer Zeit nicht zur dominierenden Lebensform auf der Erde geworden.

Nun kann heute jeder sagen, durch mein Arbeitsleben habe ich meinen Beitrag für die Sicherung des Lebens der nächsten Generation und für die Erhaltung der menschlichen Kultur bereits geleistet und kann jetzt meinen Lebensabend frei von weiteren Verpflichtungen genießen.

Aber vielleicht kann zu diesem Genießen auch gehören, seine Erfahrungen und sein Wissen an Kinder weiterzugeben. Wenn eigene Enkel nicht da oder nicht in der Nähe sind, kann man das auch in sogenannten Großelterndiensten tun. Das erste deutschlandweite Treffen von Großelterndiensten vor zwei Jahren in Erfurt konnte durch die Unterstützung mit Fördermitteln aus meinem Zuständigkeitsbereich zustande kommen.

Jetzt war so viel von Großmüttern die Rede, aber ich möchte die Großväter nicht diskriminieren. In Großelterndiensten sind natürlich auch Großväter herzlich willkommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Autonomieverlust und Teilhabegefährdungen – Diskriminierungsgefahren im Alltag von hochaltrigen Menschen

Fachtagung der Landesseniorenvertretung und des Landesseniorenrates „Der Alltag von hochaltrigen Menschen: Teilhabegefährdungen und –Chancen“

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Veranstalter der heutigen Tagung haben mir als Beauftragten der Thüringer Landesregierung für das Zusammenleben der Generationen und gleichzeitigem Ansprechpartner der Thüringer Landesregierung für Antidiskriminierung ein Thema für meinen Redebeitrag gestellt, das diese beiden Bereiche zusammenbringt:

„Autonomieverlust und Teilhabegefährdungen – Diskriminierungsgefahren im Alltag von hochaltrigen Menschen“.

Hier ist sowohl der Begriff der Generation der Hochaltrigen als auch der der Diskriminierungsgefahr enthalten.

Aber gestatten Sie mir, dass ich im Zusammenhang mit dem Begriff des Autonomieverlustes noch einen weiteren Begriff anspreche, der mir im Zusammenhang mit dem Alter wichtig ist: Es ist der Begriff der Würde. Denn Autonomie und Würde sind nicht dasselbe, obwohl oft dieser Eindruck erweckt wird.

Ich denke, dass wir in der westlichen Welt zunehmend in der Gefahr stehen, ausgehend vom Ideal der Selbstverwirklichung des Individuums, den Begriff der Menschenwürde mehr oder weniger inhaltlich mit dem Begriff der persönlichen Autonomie gleichzusetzen. Es gibt jedoch traditionelle Kulturkreise in anderen Erdteilen, wo niemand auf die Idee käme, dass ein alter Mensch, der krank und schwach auf die Hilfe anderer angewiesen ist, etwa weniger Achtung und Ehrerbietung verdienen würde.

Wenn wir in unserer Leistungsgesellschaft die Würde eines Menschen tatsächlich gleichsetzten mit seiner Leistungsfähigkeit, hätte das fatale Konsequenzen. Dann erschiene uns ein Leben in Abhängigkeit und Unselbständigkeit als unwürdig und wenig lebenswert. Dann würden wir jenen Menschen, deren Fähigkeiten zur Wahrnehmung ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt sind, die Würde absprechen.

Aber mit der Würde eines Menschen ist ja nun einmal jener unveräußerliche Anspruch auf Wertschätzung und Achtung gemeint, der dem Menschen einzig und allein durch sein Menschsein zukommt, völlig unabhängig von seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status.

In Sonntagsreden würde dem kein zivilisierter Mensch widersprechen, aber handeln und denken auch alle Menschen im Umfeld von Hochaltrigen, wenn diese auf intensive Hilfe und Pflege angewiesen sind, wirklich immer so?

Menschenwürde heißt, dass alle Menschen unabhängig von irgendwelchen Unterscheidungsmerkmalen, denselben Wert haben. Als solche Unterscheidungsmerkmale, die als Grundlage für Diskriminierungen dienen können, werden im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dem AGG, die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität genannt.

Ich meine, wir müssen noch stärker lernen und verinnerlichen, dass nicht nur einerseits Diskriminierungen die Autonomie und Teilhabe von Personen einschränken können, sondern dass auch andererseits die unreflektierte Verwendung des Begriffs der Autonomie selbst als ein angebliches Unterscheidungsmerkmal wiederum zu Diskriminierungen führen kann, zum Beispiel von Hochaltrigen, die pflegebedürftig in ihrer Autonomie eingeschränkt sind.

Wir wissen, dass in Friedenszeiten, wie wir sie in unserem Teil Europas nun schon seit fast siebzig Jahre haben, von zehn Menschen nur einer einen plötzlichen Tod stirbt. Die Wahrscheinlichkeit, zu den neun anderen Personen zu gehören, die in einem gewissen Zeitraum zunehmend unselbständig und pflegebedürftig werden, erweist sich damit als relativ hoch. Es kann also nicht nur einzig und allein darum gehen, möglichst lang selbständig und autonom zu bleiben, sondern auch zu akzeptieren, dass Hilfsbedürftigkeit als integraler Bestandteil zum Menschsein und zur Menschenwürde gehört.

Für ein gutes Beispiel, wie die Beachtung der Würde Älterer reflektiert und zur gelebten Praxis werden kann, halte ich die Ethik-Cafés in den Altersheimen der Stadt Zürich. Dort treffen sich in regelmäßigen Abständen Pflegende, andere Mitarbeiter, Bewohner und Angehörige, um in einem offenen Austausch ethische Fragen zu diskutieren, die im Umgang mit pflegebedürftigen und alten Menschen auftreten.

Die 1999 verstorbene Psychologin und Gerontologin Margret Baltes hatte darauf hingewiesen, dass Unselbständigkeit im Alter verschiedene Dimensionen haben kann.

Sie kann zum Beispiel geistig, körperlich, ökonomisch, sozial oder emotional bedingt sein. Sie kann verstärkt werden, wenn die Umwelt weder fordernden noch anregenden Charakter hat. Durch eigentlich gut gemeinte Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen wird Unselbständigkeit nicht selten verstärkt.

Margret Baltes hatte auch davor gewarnt, einzelne Dimensionen der Unselbständigkeit unzulässig zu verallgemeinern, zum Beispiel von körperlicher Unselbstständigkeit auf eine generelle Inkompetenz in allen Lebensbereichen zu schließen. Hier ist der Schritt vom Altersklischee zur Altersdiskriminierung schnell vollzogen.

Gleichzeitig zeigte Margret Baltes aber auch auf, dass Unselbständigkeit für manche auch einen Gewinn darstellen kann, indem sie intensivere Sozialkontakte ermöglicht, an denen es vorher gemangelt haben kann.

Wie sieht es generell mit den sozialen Kontakten im hohen Alter aus?

Wer in Thüringen 100 Jahre alt wird, und wer dem Einwohnermeldeamt die Weitergabe dieser Information und der Kontaktdaten nicht untersagt hat, bekommt auch ein Glückwunschschreiben aus der Staatskanzlei.

Im letzten Jahr gratulierte die Thüringer Ministerpräsidentin 135 Thüringerinnen und Thüringern zu ihrem 100. und zwei weiteren bereits zu ihrem 107. Geburtstag.

Wie viele Sozialkontakte diese Personen haben, wissen wir nicht. Aber von 52 weiteren Jubilaren steht fest, dass sie mindestens einen intensiveren Sozialkontakt haben müssen, denn 26 Ehepaare in Thüringen erhielten letztes Jahr Glückwünsche zu ihrer sogenannten Gnadenhochzeit, ihrem 70. Hochzeitstag.

Allerdings liegt heute im hohen Alter noch ein starkes Ungleichgewicht der Geschlechter vor. Von den 280 über 100-Jährigen, die in Thüringen gezählt wurden, sind 248 Frauen und nur 32 Männer. Und von den 13.445 über 100-Jährigen, die in Deutschland insgesamt gezählt wurden, sind 11.766 Frauen und nur 1.679 Männer.

Das Deutsche Zentrum für Altersfragen hat im Jahr 2011 die Familienstände der über 80-jährigen ermittelt. Bei den Ledigen und Geschiedenen gab es keine auffälligen Unterschiede. Bei den Männern waren 5 % ledig und 4 % geschieden, bei den Frauen 8 % ledig und 6 % geschieden. Ganz anders gestalten sich die Unterschiede bei den Verheirateten und Verwitweten. Bei den Männern waren 61 % verheiratet und 30 % verwitwet, bei den Frauen waren hingegen nur noch 22 % verheiratet und bereits 64 % verwitwet. Zwanzig Jahre zuvor, im Jahr 1991, lag die letzte Zahl noch höher, da waren nicht 64% der über 80-jährigen Frauen verwitwet, sondern 78 %. Insofern hätten sich inzwischen die Chancen auf Gnadenhochzeiten deutlich verbessert, wenn nicht höhere Scheidungsraten dem vielleicht wieder entgegen wirken.

Wenn Sie mich jetzt noch nach den Eheschließungen der über 80-Jährigen fragen würden, dann kann ich Ihnen dafür ebenfalls Zahlen nennen. Auch hier haben wir ein stark abweichendes Geschlechterverhältnis. Im Jahr 2010 waren es in der Bundesrepublik Deutschland immerhin 720 Männer, aber nur 128 Frauen, die noch einmal ihr Ja-Wort gaben. Die hochaltrigen Herren haben sich offenkundig mehrheitlich junge Damen unter 80 gesucht. Und vielleicht hat sich ja auch manche reifere Dame gefragt, ob sie sich das noch einmal antun will.

Aber Scherz beiseite, eine der besten Prophylaxen gegen manche Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt und die Autonomie und Teilhabe gefährden, sind stabile und verlässliche soziale Beziehungen, möglichst nicht nur zu einem einzigen Partner, sondern zu mehreren Personen, ob nun in der Familie oder auch darüber hinaus. Da es die traditionelle Großfamilie nicht mehr bzw. zu selten gibt, in der Hochaltrige Unterstützung finden – von der manche Altersforscher allerdings auch sagen, dass deren Bild heute im Nachhinein etwas romantisch verklärt wird –, dann bedarf es anderer Möglichkeiten, um intergenerationelle Sozialkontakte zu unterstützen. Für ein gutes Modell halte ich hier die Mehrgenerationenhäuser, deren Arbeit ich in Thüringen intensiv begleite und unterstütze.

Bisher habe ich etwas zu den Themen Würde im Alter und Sozialkontakte im höheren Alter gesagt. Wie sieht es jetzt aber mit den Diskriminierungsgefährdungen im Alter konkret aus?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ruft seit zwei Jahren jedes Jahr ein Themenjahr zu einem der sechs Diskriminierungstatbestände nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus. Sie geht dabei nach dem Alphabet vor. Dieses Jahr ist sie bei dem Buchstaben E  angelangt, E wie ethnische Herkunft. Für C und D gibt es keine Tatbestände. Letztes Jahr war man bei B, wie Behinderung. Und die Reihe startete vor zwei Jahren mit A, wie Altersdiskriminierung.

Im Rahmen dieses Themenjahres 2012 mit dem Titel „Im besten Alter. Immer“ hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Expertenkommission einberufen, die Handlungsempfehlungen zum Abbau von Altersdiskriminierung geben sollte. Die Expertenkommission wurde geleitet von Henning Scherf, dem ehemaligen Bürgermeister von Bremen. Die wissenschaftliche Leitung hatte Prof. Dr. Gerhard Naegele von der Technischen Universität Dortmund.

Die Handlungsempfehlungen sind in neun Punkte untergliedert. Die ersten fünf betreffen die Arbeitswelt und der sechste empfiehlt den Trägern zivilbürgerschaftlichen Engagements die vollständige Abschaffung von Altershöchstgrenzen. Die Punkte sieben bis neun befassen sich mit dem Gesundheits- und Pflegebereich.

Im Bereich Gesundheitswesen, Pflege und Sozialschutz legte die Kommission den Schwerpunkt auf alterstypische Probleme beim Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen.

Ausdrücklich wurde von ihr begrüßt, dass es in Deutschland keine vorgeschriebene Leistungsrationierung gibt. Aber dennoch wurde darauf hingewiesen, dass es in der Praxis durch implizite Rationierungen und Priorisierungen, verursacht durch Verwaltungshandeln und bestimmte Altersbilder bei den Beschäftigten in den Gesundheitsberufen zu Benachteiligungen aufgrund des Alters kommt.

So wurden als Beispiel Probleme beim Zugang zur Rehabilitation für von Pflegebedürftigkeit bedrohte Ältere genannt.

In der professionellen Pflege, die besonders die Hochaltrigen betrifft, wies die Kommission auf Benachteiligungen in der Praxis der Versorgung hin, deren Ursachen sie zum Teil in der „Teilkaskoabsicherung“ der deutschen Pflegeversicherung sieht.

Dabei wurde ausdrücklich das bisherige Pflegebedürftigkeitskonzept angesprochen, das zu sehr auf einzelne Verrichtungen bezogen ist.

 

Die Kommission empfahl, die bestehende Praxis, älteren wie jüngeren Menschen gleichermaßen den Zugang zu erforderlichen und bedarfsangemessenen Leistungen zu gewähren, unbedingt beizubehalten. Das heißt, solche Ideen, wie zum Beispiel die Einführung von Altersgrenzen für den Einsatz künstlicher Hüftgelenke, weiter strikt abzulehnen.

Die strukturellen Defizite in der geriatrischen Rehabilitation älterer Menschen sollten insbesondere durch bessere Anreize für die Gesetzliche Krankenversicherung sowie insgesamt durch eine stärkere Vernetzung der geriatrischen Rehabilitation mit der Pflegeversicherung abgebaut werden.

Die Kommission empfahl, ein finanzierbares Gesamtkonzept der gleichberechtigten Teilhabe und Inklusion pflegebedürftiger, behinderter und alter Menschen zu entwickeln, welches stärker an die Logik des SGB IX anknüpft.

Bei dessen Zielgruppe, den Menschen mit Behinderungen, wird auf gleichberechtigte gesellschaftliche und gemeinschaftliche Teilhabe und Inklusion abzielt. Ein Konzept, welches sich weniger an den Betreuungs- und Versorgungslogiken orientieren soll, die bisher im SGB XI bzw. im SGB XII, also bei Pflege und Sozialhilfe, vorherrschen. Die Sicherung bei Pflegebedürftigkeit sollte künftig auch unter dem Teilhabeaspekts organisiert werden.

Besonderen Wert legte die Kommission vor zwei Jahren auch auf die Einführung eines neuen Pflegebegriffs, wie man sich ihm jetzt annähert.

Sie empfahl von zwei Jahren ebenfalls bereits schon die Überarbeitung des Leistungsrechts der Pflegeversicherung, um falsche Leistungsanreize, die den stationären Bereich begünstigen, zu überwinden. Dabei sollte allerdings gewährleistet sein, dass das Niveau der Sachleistungen im ambulanten Bereich dem Niveau der Sachleistungen im stationären Bereich angeglichen wird.

Handlungsbedarf sah die Kommission auch bei angemessenen Personalschlüsseln in der Pflege, der Nachwuchsförderung, um dem drohenden Pflegepersonalnotstand zu begegnen und der Prüfung von Möglichkeiten einer verstärkten Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Ländern.

Soweit die wesentlichen Aussagen der Empfehlungen der Scherf-Kommission zur Altersdiskriminierung, die auch Hochaltrige im Gesundheits- und Pflegebereich betreffen können. Ein großer Teil dieser Aussagen, insbesondere zur Pflege, sind sicher richtig und zu dick zu unterstreichen, haben allerdings mit Altersdiskriminierung im engeren Sinnen nur indirekt zu tun und könnten auch genauso gut in anderen Zusammenhängen ähnlich formuliert werden.

Laut Einsetzungsbeschluss sollte die Kommission nicht nur Empfehlungen zu Arbeitsleben und Arbeitsrecht inklusive bürgerschaftliches Engagement sowie zu Gesundheitswesen, Pflegebereich und Sozialschutz geben, sondern auch zum Finanz- und Versicherungswesen sowie zum Wohnungsmarkt. Davon hat die Kommission jedoch abgesehen.

Allerdings möchte ich einige Punkte aus diesem Bereich dennoch kurz ansprechen.

Nehmen wir das Versicherungswesen. Ein 75-jähriger Mann wandte sich an die Altersdiskriminierungsstelle des Bundes, weil seine Versicherung ihm den Unfallversicherungsvertrag gekündigt hatte verbunden mit dem Hinweis, der Vertrag könne aber auch weiterbestehen, wenn er der Erhöhung seines Beitrages um ca. 200 Euro zustimmt.

Die Altersdiskriminierungsstelle konnte ihm nur empfehlen, sich an den Versicherungsombudsmann zu wenden, musste ihm aber auch mitteilen, dass Versicherungsunternehmen grundsätzlich nach der geltenden Rechtslage unter bestimmten Voraussetzungen individuelle, mit dem Alter verbundene Risiken geltend machen können.

Schauen wir zum Finanzwesen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt im Arbeits- und im Zivilrecht. Der zivilrechtliche Schutz vor Diskriminierung gilt grundsätzlich aber nur für sogenannte Massengeschäfte, also Alltagsgeschäfte, die ohne Ansehen der Person abgeschlossen werden. Eine Kreditvergabe, bei der man sich in der Bonitätsprüfung die Person und deren Verhältnisse sehr genau anschaut, ist demzufolge kein Massen- oder Alltagsgeschäft.

An die Altersdiskriminierungsstelle des Bundes haben sich wiederholt ältere Menschen gewandt, denen ihre Hausbanken kein Hypothekendarlehen gewähren wollten, selbst wenn sie eine schuldenfreie Immobilie besaßen. Andere berichteten, dass ihnen aufgrund ihres Alters ihr Dispokredit gekündigt wurde. In aller Regel konnten die Probleme der Beschwerdeführer jedoch zu ihrer Zufriedenheit mit der bisherigen Hausbank oder durch einen Wechsel zu einem anderen Kreditinstitut geklärt werden. Manchmal reichte schon der Hinweis, sich an die Altersdiskriminierungsstelle wenden zu wollen, um ein Einlenken zu erreichen.

Wenn wir über Autonomieverlust älterer Menschen und die Gefahren der Altersdiskriminierung reden, so muss in diesem Zusammenhang auch die Reduzierung personengestützter Dienstleistungen in Sparkassen und Banken erwähnt werden. Viele ältere, aber auch viele behinderte Menschen sind bei der Regelung ihrer finanziellen Angelegenheiten auf die Hilfe von Mitarbeitern in gut erreichbaren Bank- oder Sparkassenfilialen angewiesen. Das Ausdünnen des Filialnetzes, die Personalreduzierung und die mehr oder weniger stillschweigende Erwartung, dass die Kunden entweder die aufgestellten Automaten nutzen oder ihre Transaktionen online im Internet erledigen, stellt viele Ältere und ganz besonders die Hochaltrigen, welche in ihrem Arbeitsleben keinen Kontakt mit solcher Technik hatten, vor erhebliche Probleme.

In der Bedienung noch schwerer zu handhaben als Bankautomaten sind die Ticket-Automaten der Deutschen Bahn und manche Fahrkartenautomaten von Nahverkehrsgesellschaften. Je vielfältiger die Möglichkeiten, umso schwieriger wird es, sich schnell in den tief gestaffelten Bedien-Menüs zurecht zu finden, erst recht, wenn einem dabei weitere Wartende über die Schulter schauen. Das treibt auch Jüngeren den Schweiß auf die Stirn. Die vielen Klagen, aber auch die schon bekannten guten Beispiele hier zu helfen, haben mich veranlasst, darüber mit dem Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn in Thüringen und Vertretern des Thüringer Verkehrsministeriums zu reden. Im Ergebnis bieten extra dafür geschulte Mitarbeiter der Bahn überall in Thüringen entsprechende Beratung vor Ort an, um mit dieser Technik souveräner umzugehen. Voraussetzung dafür sind lokale Ansprechpartner, die dafür sorgen, dass ein Interessentenkreis einer gewissen Größe zustande kommt. Lediglich eine Ankündigung in der Lokalpresse hat sich als nicht ausreichend erwiesen. Wer an einer solchen Veranstaltung teilnimmt, lernt aus meiner Sicht nicht nur etwas für sich selbst, sondern kann auch anderen kompetenter helfen. Hier könnte ein sogenannter Multiplikatoreneffekt eintreten. Das kann so weit gehen, dass man ein sogenannter ehrenamtlicher Mobilitätsberater wird, wie sie zum Beispiel am Mehrgenerationenhaus Roßleben im Rahmen eines Projektes tätig sind.

Aber für Hochaltrige muss Technik nicht nur „Teufelszeug“ sein, dass einem das Leben schwer macht, sondern es gibt auch durchaus sehr hilfreiche Technik zur Unterstützung eines selbständigen Lebens, und hier meine ich mehr als den Rollator oder den Rollstuhl.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung rief aus diesem Grund im letzten Jahr die Initiative „Senioren-Technik-Botschafter“ ins Leben, in welcher  Ältere technisches Wissen und Informationen zu hilfreicher Technik zielgruppengerecht und niederschwellig an andere Ältere vermitteln.

Ein weiteres gegenwärtig laufendes Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung heißt „Besser leben im Alter durch Technik“, in dessen Rahmen der Aufbau von kommunalen Beratungsstellen und einer Referenzdatenbank gefördert wird. Von den 22 bisher deutschlandweit eingerichteten kommunalen Beratungsstellen befindet sich eine in Jena. Am 23. September war dort die „Rollende Ausstellung“ für technikgestützte Assistenzsysteme vor Ort zu Besuch. Eine „mobile“ Wohnung ist dafür mit bestehenden Assistenzsystemen eingerichtet worden, um anschaulich die verschiedenen Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten in der Praxis demonstrieren zu können. Allerdings muss man nicht unbedingt Seniorentage veranstalten und sich dieses Fahrzeug anfordern, um an diese Informationen zu gelangen. Unter der Interadresse www.wegweiseralterundtechnik.de gibt es die Rubrik „Musterwohnung“, in der man virtuell durch diese Wohnung spazieren kann und sich so unter anderem über sprachgesteuerte Lichtschalter, Sensormatten und ähnliches informieren kann.

Aber wenn man sich diese Technikangebote näher anschaut, sieht man, dass sie bei aller Nützlichkeit für dieses und jenes Problem naheliegenderweise recht defensiven Charakter haben, schließlich sollen sie ja eintretende Defizite ausgleichen.

Bei manchen Neuerungen gewinnt man sogar den Eindruck, dass der Nutzen der Technik nicht für den zu Betreuenden sondern für den Betreuer am höchsten ist, kann doch durch sie offenkundig der „Kontrollaufwand“ deutlich reduziert werden. Natürlich kann es hilfreich sein, wenn man einen dementen Hochaltrigen vor Selbstgefährdungen schützt, ihn am orientierungslosen Weglaufen hindert oder ihn Fall des Falles schnell finden kann, aber uns sollte dennoch die persönliche menschliche Zuwendung wichtiger und wertvoller sein, als allzu sehr auf die Technik zu setzen.

Und uns sollte besonders interessieren, was man schon viel eher tun kann, um Hochaltrigen ein gutes, selbstbestimmtes und diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen. Entscheidend dafür sind Ansätze, die im sozialen Nahraum, in der Kommune vor Ort es den Älteren ermöglichen ihr Leben aktiv gestalten zu können, am gesellschaftlichen Leben ihren Wünschen und Möglichkeiten gemäß teilzuhaben.

Wie dies geschehen kann, dafür hat unter anderem das Bundes-Programm „Aktiv im Alter“ in den Jahren 2008 bis 2010 Beispiele aufgezeigt.

In der zugehörigen Broschüre „Kommune gemeinsam gestalten – Handlungsansätze zur Beteiligung Älterer vor Ort“ können Sie nachlesen, welche Ansätze dafür konkret vor Ort gefunden wurden.

Leitlinie für das Programm war das Memorandum „Mitgestalten und Mitentscheiden – ältere Menschen in Kommunen“, welches unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) erarbeitet wurde. Dort heißt es in der Präambel:

„Seniorinnen und Senioren sind in immer stärkerem Maße daran interessiert, das Gemeinwesen mitzugestalten, und sind bereit, Verantwortung gegenüber der eigenen sowie den nachwachsenden Generationen zu übernehmen. Die Potenziale der Älteren sind für die Gesellschaft ein Gewinn, denn mit dem Altern steigen Lebenserfahrung und Vielfalt des Wissens. Vorstellungen, die das Alter vorrangig als Belastung sehen, steht das bereits von vielen Menschen verwirklichte Modell eines aktiven und engagierten Alters entgegen. Engagement braucht Partizipation und Partizipation schafft Engagement. Viele Ältere wünschen sich, in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden.“ [Zitatende]

In diesem Papier wird im Punkt IV „Handlungsperspektiven“ unter anderem auch die Bedeutung von Seniorenvertretungen hervorgehoben. Im Thüringer Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Jahr 2009 wurde festgelegt, dass die Seniorenmitbestimmung durch eine weitergehende gesetzliche Regelung gestärkt werden sollte. Daraufhin entstand das Thüringer Seniorenmitwirkungsgesetz im Mai 2012.

Der dort fixierte Landesseniorenrat hat sich vor einem Jahr, am 11. September 2013, konstituiert.

Im jüngst veröffentlichen ersten Thüringer Seniorenbericht haben zu dem Punkt „Senioren haben in meiner Region ausreichende Möglichkeiten, die Interessen ihrer Generation einzubringen (z.B. durch Seniorenrat)“ mit 40,6 % der Befragten die größte Gruppe nur teilweise zugestimmt, 33,5 % eher ihre Zweifel und 25,9 % eher Zustimmung signalisiert. An diesem Punkt und generell im Feld „Gesellschaftliches Engagement und generationenübergreifende Partizipation“ bleibt also noch einiges zu tun, um hier eine größere Zufriedenheit der Senioren zu erreichen.

Am Ende meines Beitrages angelangt, möchte ich noch einmal zusammenfassen: Gegen Diskriminierungsgefährdungen hochaltriger Menschen helfen verbesserte Möglichkeiten, sich autonom in das gesellschaftliche Leben einzubringen, es mitzugestalten und daran teilzuhaben, helfen intensivere, auch generationsübergreifende Kontakte. Technische Hilfsmittel können hilfreich sein gegen den Verlust von Autonomie. Am wirksamsten vor Diskriminierung schützt aber das Bewusstsein, dass Menschenwürde etwas ist, das keinem Menschen abgesprochen werden kann und darf, völlig gleichgültig gegenüber demjenigen, was andere ihm an Eigenschaften und Merkmalen zuschreiben oder absprechen.

Rede beim 13. Alzheimer Tag Thüringen am 27.09.2014 in Weimar

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute spreche ich zu Ihnen nicht nur als Beauftragter der Thüringer Landesregierung für das Zusammenleben der Generationen, sondern ich darf Ihnen auch die Grüße des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit überbringen.

Für das Ministerium ist die Thüringer Alzheimer Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahr 2002 ein wichtiger Partner geworden. Und das nicht nur allein, weil die Thüringer Alzheimergesellschaft durch das Ministerium dabei unterstützt wird, eine landesweite Fachstelle für Familien mit Demenz aufzubauen.

Die Mitglieder der Thüringer Alzheimer Gesellschaft sind deshalb wichtig, weil sie sich Rahmen dieser Selbsthilfeorganisation für die Verbesserung der Situation von Demenzkranken und ihren Familien einsetzen.

Sie helfen den Betroffenen beim Umgang mit ihrer Krankheit. Sie unterstützen die Angehörigen, durch Beratung, emotionale Unterstützung und bei der Suche nach Hilfe vor Ort. Sie stärken in der gesamten Gesellschaft das Verständnis und die Hilfsbereitschaft für die Alzheimer Krankheit und andere Demenzerkrankungen. Sie regen gesundheits- und sozialpolitische Initiativen an. Im deutschlandweiten Verbund der Alzheimer Gesellschaften unterstützen Sie die wissenschaftliche Forschung zu Demenzerkrankungen und Versorgungsmöglichkeiten. Und Sie wirken mit bei der Entwicklung und Erprobung neuer Betreuungs- und Pflegeformen.

Die demenzkranken Menschen und ihre Angehörigen werden über die Alzheimer-Gesellschaften immer stärker in die Politikberatung einbezogen, sie sind in Gremien vertreten und kommen bei Anhörungen im Bundestag, auf Landes- und kommunaler Ebene zu Wort.

Sie leisten mit ihrer gesamten Arbeit einen wertvollen Beitrag, dessen Bedeutung sogar noch weiter zunehmen wird, wenn wir uns die demografische Entwicklung in Thüringen und in Deutschland anschauen.

Zurzeit leben in Deutschland etwa 1,5 Millionen Demenzkranke. Die meisten von ihnen sind 85 Jahre und älter. Es ist ja allgemein bekannt, dass die Häufigkeit von Demenzerkrankungen nimmt mit dem Alter zunimmt. In der Altersgruppe 70-74 Jahre sind unter 4 % der Bevölkerung erkrankt, in der Altersgruppe 80 – 84 Jahre mehr als 15 % und bei den über 90jährigen sind bereits ca. 41 % erkrankt.

Laut der Prognosen der Demografie wissen wir auch, dass im Jahr 2050 rund 14 % der Bewohner Deutschlands hochaltrig sein, also 80 Jahre und älter, sein werden. Sollte es nicht zu überraschenden medizinischen Durchbrüchen kommen, wird die Anzahl der Demenzkranken wird bis 2050 auf ca. 3 Millionen ansteigen.

Im Jahr 2011 lebten in Thüringen 513.524 Personen über 65 Jahre. Wenn davon, wie nach den vorliegenden Zahlen zu erwarten, 8,6 % an Demenz erkrankt sind, beträgt die Anzahl der Demenzkranken in Thüringen über 44.000 Personen. Den Vorausberechnungen zufolge werden im Jahr 205o knapp 50.000 Thüringerinnen und Thüringer an Demenz erkrankt sein.

Menschen mit Demenz werden etwa in drei Viertel der Fälle zu Hause versorgt. Töchter bilden mit über 40 % die Mehrzahl der pflegenden Angehörigen. Die pflegende Angehörige setzen sich hohen psychischen und physischen Belastungen aus, daher sind neue und professionelle Ansätze notwendig, um pflegende Angehörige zu entlasten.

In den vollstationären Einrichtungen sind durchschnittlich 69 % der Bewohner an Demenz erkrankt, laut einer Studie von Martina Schäufele, jetzt Professorin für Gerontologie an der Hochschule Mannheim, die sie 2013 in der Fachzeitschrift „Psychiatrische Praxis“ veröffentlichte. Durch die demografische Entwicklung ist auch absehbar, dass deren Anteil weiter steigen wird, da durch das Fehlen pflegender Angehöriger der Anteil der häuslichen Pflege zurückgehen wird.

Umso wichtiger ist die Stärkung niedrigschwelliger Betreuungsangebote, wie sie der Freistaat Thüringen gemeinsam mit den Pflegekassen fördert. Die Träger entsprechender Angebote schulen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer und leiten sie fachlich an, damit diese Menschen mit Demenz betreuen können. Es gibt die Möglichkeit der Betreuung in der Häuslichkeit der Betroffenen bzw. in Betreuungsgruppen in Räumen des Trägers. Diese Angebote dienen dazu, pflegende Angehörige zu entlasten und die Autonomie sowohl pflegender Angehöriger als auch der Betroffenen selbst so lange wie möglich zu erhalten. Hierzu leistet ein großer Teil der Träger gerade in der Gruppenbetreuung einen wichtigen Beitrag. Der Freistaat Thüringen hat mittlerweile 124 niedrigschwellige Angebote anerkannt, das heißt diese erfüllen die Voraussetzungen, um entsprechende Betreuungsleistungen zu erbringen und mit den Pflegekassen abzurechnen.

Circa ein Drittel dieser niedrigschwelligen Betreuungsangebote werden zu je 50 % vom Land und den Landesverbänden der Pflegekassen finanziell gefördert.

Im Rahmen des Bundesprogramms „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ wird ein zweijähriges Projekt der Alzheimergesellschaft „Aufbau eines Demenznetzwerkes Erfurt“ finanziell unterstützt. Es soll ein Netzwerk zur effizienten Versorgung von Familien mit einem demenzkranken Angehörigen errichtet werden. Partner ist hier insbesondere der Schutzbund der Senioren und Vorruheständler Thüringen.

Aus dem Haushalts-Titel für niedrigschwellige Betreuungsangebote wird auch das Modellprojekt „Netzwerk Pflegebegleiter“ finanziert. 2014 werden dafür 73.436 Euro bereitgestellt (50 % Landesmittel und 50 % Mittel der Pflegekassen).

Das Modellprojekt startete im Juni 2012 gemeinsam mit der Thüringer Ehrenamtsstiftung. Ehrenamtliche werden als sogenannte „Pflegebegleiter“ geschult und qualifiziert. Diese sollen pflegende Angehörige begleiten, beraten und entlasten. Das Projekt wird an fünf Standorten durchgeführt.

Zu Sicherung einer qualitativ hochwertigen Pflegeversorgung in Thüringen haben Landesregierung, Leistungserbringer und Kostenträger am 7. November 2012 den Thüringer Pflegepakt unterzeichnet und partnerschaftlich folgende Ziele vereinbart:

1. Höhere gesellschaftliche Akzeptanz – Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

2. Besserte Rahmen- und Beschäftigungsbedingungen in der Altenpflege

3. Verbesserung der Personal- und Nachwuchsgewinnung und Qualifizierung.

Zur Umsetzung der Ziele des Thüringer Pflegepakts wurden Arbeitsgruppen und wiederum Unterarbeitsgruppen gebildet. Die Unterarbeitsgruppe (UAG) „Demenz als gesellschaftliche Herausforderung“ ist federführend beim TMSFG angesiedelt und hat das Ziel, eine optimale Versorgung von Menschen mit Demenz sicher zu stellen.

Vor kurzem, am 15. September, wurde auf Bundesebene die „Allianz für Menschen mit Demenz“ unterzeichnet. Die „Allianz für Menschen mit Demenz“ ist eine Initiative der Bunderegierung und Bestandteil der Demografie Strategie. Unter gemeinsamer Leitung des BMFSFJ, des BMG und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft wurde eine Agenda von konkreten Vereinbarungen und Maßnahmen zur umfassenden Verbesserung der Lebenssituation von demenziell Erkrankten und deren Angehörigen entwickelt. Diese sollen von den zahlreichen Partnern (neben der Bundesregierung die Aktion Demenz e.V., die Aktion Psychisch Kranke e.V., die Arbeits- und Sozialministerkonferenz, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V., die Bundesärztekammer, der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V., die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V., die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e.V., die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft e.V., der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Pflegerat e.V., der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V., die Gesundheitsministerkonferenz, der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, das Kuratorium Deutsche Altershilfe, die Kultusministerkonferenz, der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. und der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V.) in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt werden.

Im Mittelpunkt der Allianz stehen die Fragen des Alterns in Würde und eine qualitativ hochwertige Versorgung und Pflege. Die Lebensqualität sowohl von Betroffenen als auch Angehörigen soll verbessert werden. Die Agenda ist geprägt vom Leitbild der Inklusion.

Die vier Handlungsfelder der Agenda sind:

1. Wissenschaft, Forschung und Information

2. Gesellschaftliche Verantwortung

3. Unterstützung von Menschen mit Demenz und deren Familien

4. Gestaltung des Unterstützungs- und Versorgungssystems.

Anfang 2016 wird die Agenda einen ersten Fortschrittsbericht vorlagen, der bereits konkrete Ergebnisse beinhalten soll. Bereits im Mai hat die Bundesregierung den Entwurf des 1. Pflegestärkungsgesetzes vorgelegt. Danach werden Menschen in der sogenannten Pflegestufe 0, also vor allem Demenzkranke, erstmals Anspruch auf Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege erhalten. Niedrigschwellige Angebote sollen durch die Einführung neuer zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen gestärkt werden, etwa für Hilfe im Haushalt oder Alltagsbegleiter und ehrenamtliche Helfer.

Zusammen fassend kann man sagen, sowohl in Thüringen als auch deutschlandweit bewegt sich einiges. Es ist zu hoffen, dass wir damit den vor uns stehenden Herausforderungen gerecht werden können. Allen, die daran mitwirken, wie die Thüringer Alzheimer Gesellschaft, ist herzlich für Engagement zu danken.

„Wer engagiert sich eigentlich im BFD? – Der Bundesfreiwilligendienst aus der Perspektive des Generationenbeauftragten“

Festvortrag von Michael Panse, Beauftragter der Thüringer Landesregierung für das Zusammenleben der Generationen, beim Festempfang für die Bundesfreiwilligen von Caritas und Diakonie am 16. Juni 2014

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Motto des Bundesfreiwilligendienstes lautet:

„Nichts erfüllt mehr, als gebraucht zu werden.“

Dies ist ein gutes und richtig gewähltes Motto, um Menschen zu motivieren, einen Freiwilligendienst zu leisten.

Aber in den Räumen eines Klosters kann man auch darüber nachdenken, ob es nicht noch bessere Antworten auf die Frage geben könnte, was einen erfüllt.

Was ist zum Beispiel mit den Menschen, die wirklich ‑ aus welchen Gründen auch immer ‑ keine „Leistungen“ erbringen können – Kinder, Hochaltrige, kranke Menschen?

Für sie wäre natürlich die schönere Antwort:

„Nichts erfüllt einen mehr, als sich geliebt zu wissen.“

Oder vielleicht auch:

„Nichts erfüllt einen mehr, als sich geliebt zu wissen und Liebe weiter geben zu können.“

Hier im Augustinerkloster kann man auch an den Heiligen Augustinus erinnern, der gesagt hat:

„Geben in Liebe heißt nie verlieren; und wenn man Liebe nicht schenken könnte, wenn man sie nicht hätte, so hat man sie erst, wenn man sie schenkt.“

Auf heutigen Spruchkarten heißt dieser Gedanke etwas kürzer:

„Liebe ist das einzige was wächst, wenn man es verschenkt.“

Und Martin Luther, der hier als Augustinermönch lebte, sagte:

„Der Glaube bringt den Menschen zu Gott, die Liebe bringt ihn zu den Menschen.“

Nun ich will hier jetzt natürlich keine Predigt halten.

Worum es mir geht, als Beauftragter für das Zusammenleben der Generationen, ist die Frage, was lässt Menschen besser zusammen leben, was bringt Menschen zueinander?

Der Begriff der Liebe wird so vielfältig verwandt, dass er in die Rede eines staatlichen Beauftragten leider eher weniger passt. Darum will ich es eine Nummer kleiner nehmen und von Zuwendung sprechen. Eine Antwort ist für mich: Was Menschen besser zusammenleben lässt, ist, wenn sie sich einander zuwenden. Das sich einander zuwenden, geschieht nicht nur in Partnerschaften, nicht nur in Familien, sondern auch im ehrenamtlichen Engagement,

Der Bundesfreiwilligendienst ist ein großer Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Zwar sind nicht alle Einsatzbereiche unmittelbar im Dienst direkt am Menschen, aber dennoch kommt man neu mit vielen anderen Menschen zusammen, macht neue Erfahrungen, leistet für die Gesellschaft insgesamt eine Aufgaben, wird aufgrund dieser Erfahrungen vielleicht auch über die Zeit des Bundesfreiwilligendienstes hinaus motiviert.

Die Bundesfreiwilligen finden Erfüllung in der ehrenamtlichen Zuwendung für und in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Im Ländervergleich geschieht dies im Bundesfreiwilligendienst in Thüringen und in den anderen neuen Bundesländern intensiver, als in sonstigen ehrenamtlichen Engagementbereichen. Hier besteht in den neuen Bundesländern Nachholbedarf:

In den Freiwilligensurveys schneiden die neuen Länder, trotz positiver Entwicklungstendenz, bisher regelmäßig schlechter als die alten Bundesländer ab. Eine differenzierte Freiwilligenkultur kann sich nur langsam entwickeln. Hier scheint die DDR-Sozialisation, insbesondere die ausgeprägte Erwartungshaltung an den Obrigkeitsstaat, immer noch nachzuwirken.

Was sind das also nun für Menschen, die sich heute im Bundesfreiwilligendienst engagieren?

Ein kurzer Rückblick: Zum 1. Juli 2011 wurde der Wehrdienst ausgesetzt. Anerkannte Kriegsdienstverweigerer hatten einen Ersatzdienst, den Zivildienst zu leisten, der gleichfalls ausgesetzt wurde.

Der Zivildienst war rein männlich, die Freiwilligendienste waren weiblich dominiert.

Wie ist es heute im Bundesfreiwilligendienst? Unter 27 Jahren ist das Verhältnis 50:50, ab dem Alter von 27 Jahren ist der Bundesfreiwilligendienst zu 59 % weiblich.

Den 78.388 Einberufungen zum Zivildienst im Jahr 2010 entsprachen rund 37.000 gleichzeitig Dienstleistende. Um funktionierende Strukturen zu erhalten, ging das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von einem Bedarf von rund 35.000 Bundesfreiwilligendienststellen aus.

Alle nach dem Zivildienstgesetz anerkannten Dienststellen und -plätze wurden automatisch als Einsatzstellen und Plätze des Bundesfreiwilligendienstes anerkannt.

Man war der Meinung, diese Platzzahl nur durch eine Altersöffnung erreichen zu können.

Und so ergeben sich drei wesentliche Unterschiede zum Zivildienst:

  • das Prinzip der Freiwilligkeit,
  • der Bundesfreiwilligendienst kann auch durch Frauen geleistet werden      und
  • er hat keine Altersgrenze.

Damit gibt es ein breiteres Zielspektrum. Der Bundesfreiwilligendienst richtet sich insbesondere an Menschen, die:

  • nach Schule oder Studium praktisch für andere Menschen tätig sein wollen,
  • Zeit bis zum Studien- oder Ausbildungsbeginn sinnvoll überbrücken möchten,
  • noch nicht genau wissen, in welche Richtung es beruflich gehen soll und neue Arbeitsgebiete kennen lernen möchten,
  • berufstätig sind, aber sich umorientieren möchten,
  • ohne Druck Arbeitserfahrung sammeln möchten, oder
  • sich nach dem Berufsleben für das Gemeinwohl engagieren möchten.

Im Januar 2014 hatte die Zahl der Bundesfreiwilligen einen Höchststand erreicht.

Bundesweit waren 49.263 BFDler im Einsatz und in Thüringen waren es 3.363.

Zudem gab es bundesweit rund 50.000 Teilnehmer in den Jugendfreiwilligendiensten, in Thüringen rund 1.000.

Der Bundesfreiwilligendienst weist deutliche Unterschiede in der Altersstruktur und in der generellen Beteiligung zwischen den neuen Ländern und den alten Bundesländern auf.

Nach einer Statistik in diesem Jahr waren 13% der Bundesfreiwilligen in Thüringen unter 27 Jahren und 87 % älter, in den alten Bundesländern waren demgegenüber 86 % jünger und nur 14 % älter.

Von den 3.363 Thüringer Bundesfreiwilligen zu Beginn des Jahres waren die 51 – 65 Jährigen mit 1.511 Bundesfreiwilligen die größte Gruppe. 109 Bundesfreiwillige waren älter als 65 Jahre.

Die älteren Bundesfreiwilligen haben auch ein deutlich stärkeres Interesse ihren Dienst zu verlängern, wenn dies möglich ist. Zu einem Stichtag im letzten Jahr waren es bei den Älteren 60,5%, während bei den Jüngeren nur 5.5% mehr als 12 Monate Dienst leisten wollten.

Eine Folge der unterschiedlichen Nachfrage in den Altersgruppen ist, dass rund ein Drittel der Bundesfreiwilligen in den neuen Bundesländern Dienst leistet, deren Bevölkerung nur etwa ein Sechstel der Gesamtbevölkerung umfasst.

In einer Untersuchung (Haß, Rabea und Beller, Annelie, (2013), Experiment Altersöffnung: Politische Ziele und nichtintendierte Folgen – empirische Befunde aus der Pionierphase des Bundesfreiwilligendienstes) wurden drei verschiedene Typen von älteren Freiwilligen herausgearbeitet:

Typ 1: BFD als Qualifizierung

BFD als Ausbildungs-, Orientierungsabschnitt (Freiwillige im Anerkennungsjahr oder anderer beruflicher Qualifizierung, ausländische Freiwillige).

Dieser Typ betont die Chancen des Dienstes. Hohe Erwartungen an den Dienst als „Sprungbrett“ für die berufliche Zukunft.

Typ 2: Alternative zu Erwerbsarbeit / MAE

BFD als Alternative zur Erwerbsarbeit (oft unmittelbar vorher in arbeitsmarktpolitischer Maßnahme gewesen).

Finanzieller Anreiz spielt wichtige Rolle, aber auch die gesellschaftliche Teilhabe. Häufig Verlängerung des Dienstes auf die Maximalzeit von 18 Monaten. Dieser Typ vergleicht sich stark mit den Hauptamtlichen in den Einsatzstellen, nicht mit den Ehrenamtlichen. Dies ist der häufigste Typ.

Wir haben es bei der Mehrheit der älteren Bundesfreiwilligen in den neuen Ländern offenkundig mit einer Personengruppe zu tun, die durch die massiven wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesse in den neuen Bundesländern seit 1989 gebrochene Erwerbsbiographien aufweisen und häufig leider nur noch geringe Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Von den unter 27jährigen kommen 77 % von der Schule. Bei den über 27jährigen waren 65% zuvor arbeitslos (51% ALG II, 10% ALG I, 4% kein ALG).

Typ 3: BFD als Sinnstifter

Der seltenste Typ. Meist im Ruhestand (älter als 65 Jahre). BFD als Möglichkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung. Dieser Typ betont die positiven individuellen Erfahrungen.

Gesetzlich geregelt und in der Praxis ausgestaltet sind Freiwilligendienste als Bildungsangebote. Alle Freiwilligen erhalten kostenlose Seminare. Im Bildungsbereich gibt es zwischen jüngeren und älteren Bundesfreiwilligen signifikante Unterschiede:

BFD unter 27           66% Abitur

BFD ab 27                22% Abitur.

Die besondere Schwierigkeit bei der Gestaltung von Bildungsangeboten für ältere Bundesfreiwillige liegt darin, dass wir es trotz ähnlicher Sozialisation und vergleichbaren Lebenserfahrungen dennoch mit einer recht heterogenen Zielgruppe zu tun haben. Träger können so vor der durchaus schwierigen Aufgabe stehen, Bildungsangebote zu entwickeln, in denen sich sowohl der funktionale Analphabet als auch der Diplomingenieur mit Leitungserfahrung wiederfinden.

Es wird spannend sein zu beobachten, ob es tatsächlich gelingt, in einem Maße zielgruppenspezifische Bildungsangebote zu entwickeln, die sowohl den differenzierten Bildungsinteressen der Freiwilligen entsprechen, als auch praktikabel umsetzbar sind.

BFD unter 27 ‑ häufigste Motivation:

50% Zeit zwischen Schule und Studium bzw. Ausbildung sinnvoll überbrücken,

36% persönlich weiterentwickeln

27% Neues erleben,

BFD ab 27 ‑ berichtete Erfahrungen:

94% gebraucht werden (Siehe Motto),

93% freie Zeit sinnvoll einsetzen,

daher auch hohe Zufriedenheit mit der Tätigkeit:

55% sehr zufrieden,

32% eher zufrieden,

Auch weit über 80% der älteren Bundesfreiwilligen würden den Freiwilligendienst anderen Menschen weiterempfehlen.

Aktuelle Diskussionspunkte sind u.a.:

die Absenkung der Wochenstundenzahl für Seniorinnen und Senioren unter 20 Stunden, z.B. durch Integration des Freiwilligendienstes aller Generationen (FDaG) in den BFD, die Kontingentierung der Gesamtstellenzahl bzw. Stellenverteilung, das Trägerprinzip, die pädagogische Begleitung und die arbeitsmarktpolitische Neutralität.

Aber trotz aller Diskussionen: Zu Beginn des BFD gab es viele Zweifel und starke Kritik, jedoch ist er in sehr kurzer Zeit zum Erfolgsmodell geworden.

Die beschriebene Situation für die neuen Bundesländer ist eine Momentaufnahme und wird sich in den nächsten Jahren sicher deutlich verändern. Die jetzigen Jahrgänge älterer Bundesfreiwilliger mit ihren besonderen Prägungen und Erfahrungen werden ins Rentenalter eintreten.

Bedingt durch die allgemeine demografische Entwicklung wird es weniger Jugendliche und junge Erwachsene geben, die zudem wegen bereits immer früher an sie herangetragenen Bildungs- und Beschäftigungsofferten geringeren Bedarf an Orientierungsmöglichkeiten und damit auch an Freiwilligendiensten haben könnten.

Das bedeutet, dass die Freiwilligendienste durch die Anstrengungen ihrer Träger weiter an Attraktivität gewinnen müssen und es sich nicht erlauben können, potentielle Freiwillige zu verprellen.

Sinnvoll sind sicher auch Maßnahmen, die dazu führen, dass alle Freiwilligen einen einheitlichen Status erhalten, dass die Rolle der Träger gestärkt wird und sich der Staat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip aus Aufgaben zurückzieht, in denen er nicht erforderlich ist.

Hier wäre es, abhängig von der weiteren Entwicklung der Gesetzeslage – Stichwort theoretisch mögliche Wiederaufnahme des Wehrdienstes – und der damit verbundenen organisatorischen Implikationen im Bereich der Bundesverwaltung, sinnvoll für den Bereich des Bundesfreiwilligendienstes bereits so etwas wie eine staatliche Exit-Strategie, zumindest konzeptionell, vorzubereiten, ohne jedoch die nötige Förderung zurückzufahren.

Ziel sollte es sein, dass Freiwilligendienste für Jugendliche so anziehend werden, dass immer mehr Jugendliche eines Jahrgangs dort wertvolle Erfahrungen sammeln wollen und darüber hinaus zu weiterem bürgerschaftlichen Engagement nach ihrer Dienstzeit angeregt werden.

Zum heutigen Festempfang der Freiwilligen des Caritasverbandes für das Bistum Erfurt e.V. und des Diakonischen Werks Evangelischer Kirchen Mitteldeutschlands e.V. danke ich allen Freiwilligen für ihr wertvolles Engagement sehr herzlich. Sie tun etwas für unsere Gemeinschaft. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

Rede zum Tag der Pflegenden beim bpa

Zu Gast beim bpa

In Thüringen sind aktuell über 32.000 Beschäftigte in der Pflege tätig, u.a. in den 311 Thüringer Pflegeheimen mit ihren über 24.000 Plätzen, oder in den über 400 ambulanten Pflegediensten, die rund ein Viertel der Pflegebedürftigen in Thüringen betreuen.

Durch die demographische Entwicklung, die sich abzeichnenden Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung, wird die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren auch und besonders in Thüringen weiter steigen.

Waren es Ende 2011 in Thüringen 82.322 Pflegebedürftige, so wird für das Jahr 2030 mit über 108.000 Pflegebedürftigen gerechnet. Dabei wird voraussichtlich der Anstieg im Bereich der stationären Pflege mit +40 % und der ambulanten Pflege mit +38 % höher sein, als im Bereich häuslicher Pflege mit +23 %. Also, kaum eine Beruf ist zukunftssicherer als der Pflegeberuf.

Aber es gibt noch weitere gute Argumente für den Pflegeberuf. Das wichtigste im Leben ist menschliche Zuwendung. Pflegende können täglich erfahren, wie erfüllend und schön es sein kann, ihre Zuwendung anderen Menschen zukommen zu lassen. Sie, die Pflegenden beweisen dabei in einem hohen Maß ihre mitmenschlichen Fähigkeiten, ihre Offenheit, Empathie und Teamfähigkeit.

In kaum einem anderen Beruf, kann man so das Gefühl haben, wirklich gebraucht zu werden und etwas sehr sinnvolles zu tun. Und in kaum einem anderen Beruf kann man so unmittelbar, eine Reaktion auf das eigene Handeln erleben.

Aber dennoch ist das Image des Pflegeberufes in der Öffentlichkeit verbesserungsfähig. Hier können u.a. Konzepte helfen, in denen schon Kindergartenkinder alten Menschen nicht nur punktuell zu einem kurzen Besuch begegnen, sondern bei denen durch längeren und intensiveren Kontakt falschen Altersklischees vorgebeugt wird.

Hier hilft, wenn ältere Kinder über kurze Praktika hinaus Pflegebereiche kennenlernen, z.B. wenn eine 15jährige hier einen Ferienjob macht. Helfen tut es sicher nicht, wenn leider vorkommende schlechte Zustände als typisch für den gesamten Pflegebereich erscheinen, wie es z.B. jüngst in einem Fernseh-Beitrag suggeriert wurde.

Zur Wahrheit gehört es aber auch, dass sich die Rahmenbedingungen in der Pflege insgesamt deutlich verbessern müssen, wenn sich das Image des Pflegeberufs verbessern soll. Dann würde sich auch die Berufsverweildauer, die z.B. bei  Altenpflegekräften derzeit durchschnittlich unter neun Jahren liegt, deutlich verlängern.

Hier hoffe ich, dass sich, u.a. auch im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes mit seinen fünf Pflegestufen, noch sehr viel tun wird, um zukünftig gute und gesicherte Arbeitsbedingungen in der Pflege zu gewährleisten.

Helfen würde u.a. sicher auch, wenn Bürokratie abgebaut, wenn der Dokumentationsaufwand reduziert werden könnte. Wir brauchen Veränderungen der politischen und der rechtlichen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt der Finanzierungssituation.

Richtig ist, dass sich etwas bewegt im Pflegebereich. Ich wünsche mir nur, manches würde schneller geschehen. So hat meiner Meinung nach die bundeseinheitliche Regelung der Finanzierung des dritten Umschulungsjahres in der Pflege zu lange auf sich warten lassen.

Bei allem Verständnis dafür, dass sich Träger von Pflegeeinrichtungen und –diensten aneinander messen lassen sollten, darf ein entsprechender Wettbewerb nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und der Pflegenden ausgetragen werden.

Das bedeutet für mich auch, dass Veränderungen zum Besseren im Lohn- und Gehaltsgefüge der Pflegeberufe, insbesondere in der Altenpflege, unbedingt notwendig sind.

Ich hoffe, dass wir hier schneller vorankommen als mit einem Trabi, mit dem Sie nachher hier fahren dürfen. Wissen Sie übrigens, woran man einen gelernten Trabi-Fahrer von einem westdeutsch sozialisierten Autofahrer unterscheiden kann. Als Kfz-Elektriker, der ich in meinem ersten Beruf war, kann ich es Ihnen sagen. Der Trabi-Fahrer wusste, was ein Unterbrecher ist und konnte ihn notfalls selbst nachstellen. Er wusste, wie wichtig die richtigen Unterbrechungen dafür sind, dass der Motor rund läuft.

Ich wünsche Ihnen, dass die heutige Veranstaltung für Sie eine gute und angenehme Unterbrechung ist. Und ich wünsche Ihnen, dass ihrem Antriebmotor für Ihren schönen und wichtigen Beruf weder der Sprit ausgeht, noch dass er heißläuft.

Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen nicht nur heute und hier, sondern täglich und überall die Wertschätzung entgegengebracht wird, die Sie für Ihre Arbeit ohne jede Frage verdient haben.

Rede zum rot-rot-grünen Haushalt 2014

Sehr geeehrte Damen und Herren,

die CDU-Stadtratsfraktion bekräftigt, dass dieser Haushalt schlecht ist. Er bewegt sich in Tradition zu den voran gegangenen Haushalten. Jeder rot-rot-grüne Haushalt war schlechter als sein Vorgänger. Insofern ist auch der HH 2014 nur der Wurmfortsatz vorheriger Jahre.

Unsere Grundkritik ist die Schieflage des HH. Um 15 Millionen Euro steigt der Verwaltungshaushalt (insbesonder durch Personal- und Sozialkosten). Der Vermögenshaushalt sinkt hingegen um 30 Millionen Euro.

Der Schuldenstand steigt auf 161 Millionen Euro. Die Finanzbeigeordnete Frau Pablich hat dankenswerterweise in ihrer Vorbemerkungen zum Haushalt auf die Probleme hingewiesen. Das gemeinsame Ziel, dass Erfurt bis 2025 schuldenfrei werden soll, ist mit diesem Haushalt nicht mehr zu erreichen.

Die fehlenden Investitionen sorgen dafür, dass überall in der städtischen Infrastruktur weiter auf Verschleiß gefahren wird. Die Kitas werden nicht fertig saniert, der Bedarf liegt bei 31 Millionen Euro – 6,2 Millionen sind nur im Haushalt und davon sind sogar rund 2 Millionen Euro Landeszuschuss. 2013 waren im Haushalt noch 9,33 Millionen für Kita-Sanierungen. Gleiches gilt für Schulen, Brücken und Straßen, aber auch für die Sanierung von Sportstätten. 2012 gab es für diesen Bereich noch 1,1 Millionen, 2013 nur noch 663.000 Euro und 2014 gar nur noch 450.000 Euro. Dies alles passiert, obwohl die Steuereinnahmen mit 114 Millionen Euro (pus 4,5 Mio.) auf Höchststand sind.

Wir haben in Erfurt kein Einnahmeproblem sondern ein Ausgabeproblem. Die Personalkosten steigen auf 163 Millionen Euro. Die Tarifsteigerungen machen einen Teil aus und die gönnen wir den Beschäftigten. Aber seit dem Amtsantritt von OB Bausewein sind 400 Stellen hinzu gekommen – auch mit dem aktuellen Haushalt sind es 22. Dies sind übertragene Aufgaben des Landes, das stimmt zum Beispiel bei den Horten. Aber es sind auch neu erfundene Aufgabenfelder von Rot-Rot-Grün. „Lernen vor Ort“, Hort- und Kitagebührenberechnungsstellen im Jugendhilfe und Bildungsbereich oder aber auch mit dem aktuellen Haushalt ein Antrag der Grünen. Darin wird eine Stelle zur Beobachtung von Konferenzen im Bereich der Wirtschaftbeigeordneten gefordert. Es gibt keine Aufgabenkritik geschweige denn ein Personalentwicklungskonzept, welches mittelfristig zu Personalreduzierungen führt. Um es klar zu sagen:

Mit unserem Haushaltsbegleitantrag soll nicht das Ziel verfolgt werden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung zu entlassen. Innerhalb der Verwaltung gibt es eine Vielzahl von Bereichen, die von sehr hoher Arbeitsbelastung geprägt sind und für die zu wenig Personal zur Erledigung der anfallenden Aufgaben zur Verfügung steht. Andere Bereiche wiederum weisen eine geringere Arbeitsbelastung auf.  Mit dem Personalentwicklungskonzept soll sicher gestellt werden, dass Mitarbeiter entsprechend qualifiziert werden und somit andere Tätigkeiten ausüben können. Außerdem können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch diese Qualifikations- bzw. Umschulungsmaßnahmen in anderen Arbeitsbereichen mit erheblichen Mehrbelastungen eingesetzt werden. Neben dem optimalen Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollten künftige Personalkostenerhöhungen nicht die tariflichen Anpassungen übersteigen.

Wir haben bei den Haushaltsanhörungen erhebliche Abweichungen der Finanzen beim IST mit den Soll festgestellt. Daraus resultieren zum Teil abenteuerliche Haushaltsansätze. Deutlichstes Beispiel sind die Elterngebühren bei den Kitas. Dort hat sich die Sozialbeigeordnete mal locker um eine dreiviertel Million „verschätzt“. Auf Nachfrage kam raus, es waren die schon im letzten Jahr zu hoch angesetzten Kalkulationen.

Oberbürgermeister Bausewein wollte im Frühjahr 2013 eine Elterngebührenordnung durchdrücken, die für viele Eltern deutliche Erhöhungen, teilweise sogar Verdoppelungen, der Gebühren bedeutet hätten. Die Eltern haben protestiert und diesen Vorschlag vom Tisch gefegt. Trotzdem wurde die Einnahmeprognose beim HH 2014 beibehalten. Ähnliches geschah bei den Einnahmen aus Gebühren bei der Volkshochschule. Rot-Rot-Grün geht dabei nach dem Prinzip vor, was sich passt wird passend gemacht.

Korrigiert werden soll das Ganze, nachdem es herraus gekommen war, nun mit den zusätzlichen 1,25 Millionen Euro vom Land. Dieses Geld ist aber als Hilfsprogramm für die Kommunen gedacht und nicht als Haushaltssicherungskonzept für die Landeshauptstadt oder Sozialbeigeordneten-Hilfsprogramm. Die CDU-Stadtratsfraktion wollte diese Gelder nachhaltig einsetzen, also für die Sanierung von Kitas. Ebenso wollten wir mögliche weitere Gelder vom Bund (Eingliederungshilfe) für die Sanierung von Kitas, Schulen und Brücken einsetzen und verhindern, dass diese Gelder verkonsumiert werden. Ursprünglich wollte die SPD dies angeblich auch (nachlesbar in der TA). Aber mit der 3. Verwaltungsänderungsvorlage der Verwaltung wurde das Geld einkassiert und nun im Wesentlichen im Verwaltungshaushalt der Sozialbeigeordneten „verfrühstückt“. Die vollmundige Ankündigungsrethorik der SPD war erledigt und die Genossen knickten ein.

Eine dreiviertel Million dieses Geldes soll nun zur Stopfung des Haushaltslochs bei den Elterngebühren dienen, ein kleiner Teil für die Ortsteile und 150.000 Euro für Kibeo. Staunend konnten wir lesen, dass für 150.000 Euro das Online-Kitaprogramm Kibeo gekauft werden soll. Wenn dies so geschieht, wäre das ein Fall für das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes. Das Online-Programm gibt es als kostenfreie Software für Kommunen und Bundesländer vom BMFSFJ.

Einige wenige Gedanken zu den Kollektivanträgen von Rot-Rot-Grün: Diese Anträge wurden erst nach Abschluss der vereinbarten Antragsfrist eingereicht. Offensichtlich gab es längeren Beratungsbedarf beim linken Bündnis und viele Köche wollten den Brei mitkochen. Aber wie so oft, viele Köche verderben den Brei, erst recht, wenn sie nicht kochen können. Die Verwaltungsstellungnahme haut den Kollegen die Anträge auch bildlich gesprochen um die Ohren und spricht ihnen die finanzpolitische Kompetenz ab. Finanziert werden sollen die Anträge von Rot-Rot-Grün mit „Wünsch-dir-was-Positionen“. Fiktive Einnahmeerhöhungen bei der Einkommenssteuer, Abgaben und Gebühren gehören dazu. An anderer Stelle werden von den Stadtwerken zusätzlich eine halbe Millionen gefordert. Bei einer außerordentlich guten Konjunkturentwicklung kann das aufgehen – aber sicher ist das nicht. So ein wenig erinnert das an Roulette-Spiel – alles auf eine Zahl setzen und wenn man verloren hat ist die Kugel schuld.

Seriös ist das Vorgehen von Rot-Rot-Grün jedenfalls nicht. Aus den vorstehenden Gründen lehnt die CDU den Haushalt 2014 ab. Für den Fraktionsvorsitzenden der SPD, der zuvor in höchsten Tönen die rot-rot-grüne Politik der letzten Jahre gelobt hat, habe ich mir zum Schluß ein passendes Zitat heraus gesucht.

Passend zum kulturellen Jahresthema „Wie viele Worte braucht der Mensch?“, aber auch passend zur Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden hat Gottfried Benn einst gesagt:

„Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort!“.

 

 

 

Die Zukunft des Generationenvertrages in Thüringen abhängig von den Chancen für Familie und Wirtschaft

Feierliche Abschlussveranstaltung des Projektes „Botschafterinnen für Existenzgründung und Unternehmertum“ am 12.12.2013 im Augustinerkloster Erfurt

Sehr geehrte Damen, und Herren,

kennen Sie den Bechdel-Test? [1985 von der US-amerikanischen Cartoonistin Alison Bechdel entwickelt] Kinos in Schweden nutzen ihn seit neuesten, um das Publikum zu informieren, wie geschlechtergerecht der gezeigte Film ist. Es müssen nur drei einfache Fragen beantwortet werden.

Erstens: Kommt in dem Film mehr als eine Frau vor und wenn ja, erfährt man auch deren Namen?

Zweitens: Reden die Frauen miteinander? und

Drittens: Reden die Frauen miteinander auch über etwas anderes als über Männer?

Es fallen nicht nur viele Kriegs-, Action- und Westernfilme durch diesen Test. Auch zwei der acht Harry-Potter-Filme haben ihn nicht bestanden.

Ihre Veranstaltung besteht den Bechdel-Test selbstverständlich ohne Probleme. Dreht man den Bechdel-Test aber um, kann ich Ihnen versichern, dass ich als Mann nicht nur über Frauen, sondern auch über Männer rede. Denn es fällt schon auf, wenn man sich mit Generationenfragen, wenn man sich mit der demografischen Entwicklung befasst, dass viel von Frauen und ihrer durchschnittlichen Kinderzahl, von der Anzahl der kinderlosen Frauen, vom Erstgebäralter und vom durchschnittlichen Gebäralter von Frauen gesprochen wird, aber recht wenig von Männern.

Werden Frauen allerdings nach der Realisierung ihres Kinderwunsches gefragt, so kommt recht häufig die Antwort, dass sie dazu noch nach dem richtigen Partner suchen. Ein Partner, der nicht nur ebenso wie sie Kinder will, sondern der auch bereit ist, seinen Teil zum Familienleben – unter anderem zum Bewältigen des Haushalts – beizutragen. Ist der Wunsch nach Kindern bei Männern schon etwas geringer als bei Frauen ausgeprägt, so fällt die Begeisterung für die Hausarbeit bei Männern noch deutlich geringer aus.

Wie stark der demografische Wandel ausfällt, hängt also nicht allein von den Frauen ab, sondern auch davon, ob sich genug Männer finden, die bereit, willens und in der Lage sind auf die Wünsche und Erwartungen ihrer Partnerinnen einzugehen. Ohne solche Männer werden wir auch in Zukunft nicht mehr Kinder haben. Zur Einhaltung des Generationenvertrages in der Zukunft gehört es aber notwendig, dass eine genügend große nächste Generation nachwächst, um ihn einzulösen.

Wie steht es mit der Demografie in Thüringen?

Im Jahr 2050 wird sich nach den vorliegenden Bevölkerungsvorausberechnungen die Einwohnerzahl Thüringens im Vergleich zu 1950 annähernd halbiert haben, von knapp 3 Millionen Einwohnern 1950 (2.932.242) auf nur noch gut anderthalb Millionen Einwohner im Jahr 2050 (1.538.200).

Wir werden aber nicht nur weniger, wir werden auch älter. Am 31.12.2011 waren 514.459 Thüringer – und damit 23 % der Bevölkerung ‑ älter als 65 Jahre. Bis 2030 wird der Anteil der über 65-jährigen auf 37 % steigen. Er werden dann mehr als 650.000 Thüringerinnen und Thüringer in diesem Alter sein. Die Zahl der über 80jährigen wird von 124.545 auf mehr als 189.000 anwachsen.

Im Jahr 2030 werden auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren dann 70 Personen über 65 Jahre kommen. Im Jahr 2008 waren es noch nur 36 Personen über 65 Jahre. Etwas verkürzt und gerundet könnte man sagen, stehen jetzt 10 Erwerbsfähige 3 Rentner gegenüber, so werden es im Jahr 2030 in Thüringen 7 Rentner sein. Bereits im Jahr 2020 wird in Thüringen im Vergleich zu 2005 die Anzahl der Erwerbspersonen um ein Fünftel (19,4 %) zurückgegangen sein.

Aber die Verschiebung der Altersstruktur findet natürlich auch in Betrieben selbst statt. Der Anteil älterer Arbeitnehmer, die sogenannten 50+, an allen Beschäftigten erhöht sich von 30% im Jahr 2010 auf rund 40% im Jahr 2020.

Dem Rückgang der Bevölkerung und den Verschiebungen in der Altersstruktur steht gegenüber, dass die Finanzmittelausstattung des Freistaats Thüringen bereits zum Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2011 nur noch rund 83 Prozent betragen wird, als rund um ein Fünftel sinkt. In Abhängigkeit vom gesamtdeutschen Steueraufkommen verliert Thüringen mit jedem Einwohner rund 2.500 Euro. Der skizzierte Einwohnerrückgang in Thüringen führt damit pro Jahr zu Mindereinnahmen von 50 Mio. Euro. Die neuen Länder sind ab 2014 nicht mehr Ziel-1-Gebiet der EU-Förderung. Der Solidarpakt II wird 2019 auslaufen. 2012 hat Thüringen daraus noch 1,3 Mrd. Euro erhalten. Bei einem Gesamtlandeshaushalt von knapp 9 Mrd. Euro sind dies rund 14% der Einnahmen gewesen. Um die gesetzlich eingeführte Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 einzuhalten, muss das Haushaltsvolumen bereits jetzt reduziert werden.

Wenn jetzt bei einem Gesamtlandeshaushalt von knapp 9 Mrd. Euro die Personalausgaben allein 2,3 Mrd. Euro ausmachen, ist klar, dass die Anzahl der Mitarbeiter und der Umfang der Verwaltungsstrukturen weiter herunter gefahren werden müssen. Den größten Anteil am Personalbestand des Landes haben allerdings die Lehrer an staatlichen Schulen und die Polizisten, deren Anzahl nicht beliebig abgesenkt werden kann. Wir brauchen ebenso auch weiterhin eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung, die die erforderlichen Dienstleistungen für die Bürger und die Wirtschaft in der notwendigen Qualität erbringt. Wer solche öffentlichen Leistungen, wie z.B. Erhalt der Infrastruktur, oder ein funktionierendes Grundbuchwesen, oder Lebensmittelsicherheit, oder Seuchenschutz will, kann hier nicht beliebig einsparen. Allerdings müssen Standards überprüft werden, ob sie weiter in der bisherigen Weise nötigt sind, oder ob sie an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden können.

Wenn wir den demografischen Wandel in Thüringen bewältigen wollen, dann kann es nicht ausreichen, allein auf passive Anpassungsprozesse zu setzen, dann muss auch aktiv reagiert werden. Darum richtete im Jahr 2001 die Thüringer Staatskanzlei eine Managementgruppe „Fachkräftebedarf“ ein, die bis zum Jahr 2010 tätig war und dann von einer Steuerungsgruppe auf Staatssekretärsebene abgelöst wurde. Vor neun Jahren, im Jahr 2004, wurde die interministerielle Arbeitsgruppe „Demografischer Wandel“ eingerichtet, die entsprechende Konzepte berät. Das Jahr 2011 war das Gründungsjahr der „Serviceagentur Demografischer Wandel“. Im selben Jahr wurde der erste Teil des Thüringer Demografieberichts der Öffentlichkeit vorgestellt und die Mitteldeutsche Demografieinitiative ins Leben gerufen. Im Jahr 2012 folgten der Demografiebericht Teil 2 mit dem Titel „Herausforderungen und Handlungsansätze bei der Sicherung ausgewählter Schwerpunkte der Daseinsvorsorge“ und Teil 3 mit dem Titel „Entwicklungen und Tendenzen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft in Thüringen“.

Wir wissen auch, dass die Entwicklung von Strategien auf Landesebene allein nicht ausreicht, da die Bevölkerungsentwicklung in Kreisen und Gemeinden sehr differenziert verläuft, Schrumpfung und Wachstum liegen häufig dicht beieinander. In Städten wie Jena, Weimar und Erfurt rechnet man für die nächsten Jahre mit einem Anstieg der Bevölkerung, während die anderen kreisfreien Städte und Landkreise weiter schrumpfen. So rechnet man bis zum Jahr 2020 in Gera mit einem Rückgang um über 11.000 Personen und im Landkreis Greiz mit einem Rückgang um über 18.000 Personen. Daher sind kleinräumige Betrachtungen und lokale Strategien erforderlich. Das im Jahr 2012 gegründete „Thüringer Zentrum für interkommunale Kooperation“ soll dabei Unterstützung leisten.

In Thüringen beginnen die meisten Schulabgänger ihre Ausbildung oder ihr Studium nicht am Heimatort. Viele von ihnen bleiben Jahre weg. Kehren sie gar nicht mehr zurück, fehlen in peripher gelegenen Regionen, die wirtschaftlich vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt sind, junge, gut ausgebildete Fachkräfte. Dann gibt es mehr freie Stellen als Bewerber und mehr Ausbildungsplätze als Schulabgänger. In den Gegenden, in denen die Bevölkerung wegen einer niedrigen Geburtenrate und Abwanderung schrumpft, droht eine wirtschaftliche Abwärtsspirale. Niedrigere Einwohnerzahlen bedeuten ein zurückgehendes Arbeitskräftepotenzial. Unternehmen ziehen sich zurück, weil sie schwerer ihren Fachkräftebedarf decken können und ihnen – je nach Branche – Abnehmer fehlen. Ziehen sich jedoch die Unternehmen zurück, stärkt das die Abwanderung und Zuwanderung bleibt aus. Weniger Unternehmen führen zu verminderten Einnahmen der betroffenen Kommunen und damit zu weniger finanzielle Mittel für Investitionen in die Infrastrukturen.

Wenn wir keine Wege finden würden, diese Probleme zu lösen, stünde die Zukunft des heutigen Generationenvertrages in Frage.

Aber es wäre gut, wenn der Generationenvertrag bei leidlich guter Gesundheit das Rentenalter erreichen würde. Das Licht der Welt der deutschen Sozialgesetzgebung hat er vor nun 56 Jahren erblickt. Sein Vater war der Geschäftsführer und wissenschaftliche Berater des Bundes Katholischer Unternehmer, Wilfrid Schreiber. Was unter Konrad Adenauer aus seinem Kind gemacht wurde, entsprach allerdings nur zum Teil seinen ursprünglichen Absichten.

Heute wird offiziell definiert: „Mit Generationenvertrag wird der unausgesprochene „Vertrag“ zwischen der beitragszahlenden und der rentenbeziehenden Generation bezeichnet. Die monatlich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorgenommenen Einzahlungen in die staatliche Rentenkasse sollen zur Finanzierung der laufenden Rentenzahlungen dienen. Die arbeitende und somit zahlende Generation erwartet ihrerseits, dass auch ihre Rente durch die Beitragszahlungen der nachfolgenden Generation gedeckt ist. Tatsächlich ist der Generationenvertrag als Grundlage des deutschen Rentensystems eine staatlich organisierte Unterhaltspflicht gegenüber den Älteren der Gesellschaft.“

Die Erkenntnis, dass heutige Rentner nicht ihre angesparte Rente verzehren, sondern dass ihre eigenen Rentenbeiträge schon längst von anderen Rentnern vor ihnen verbraucht worden sind, scheint sich allerdings immer noch nicht bis zum letzten Rentner und auch nicht zu allen Journalisten herumgesprochen zu haben.

Aber der Grund dafür, dass sich Wilfrid Schreiber in den fünfziger Jahren hinsetzte und seine Vorschläge aufschrieb, war, dass schon damals die selbst eingezahlten Beiträge keine ausreichende Kapitaldeckung für die eigene Rente ergaben und absehbar auch nie ergeben würden. Wilfrid Schreiber wird daher auch der Vater der dynamischen Rente genannt. Einer Rente, die sich an die Steigerung der Produktivität und die damit verbundene Lohnentwicklung anpasst, und die außerdem vor der Inflation schützt.

Als Modell für den Generationenvertrag dienten Wilfrid Schreiber die Generationenbeziehungen innerhalb einer Familie. Aber in einer Familie hat die mittlere, Einkommen beziehende Generation nicht nur für die ältere, sondern auch für die jüngere Generation zu sorgen. Deshalb gab es im ursprünglichen Schreiber-Plan auch neben der Altersrente eine Kindheits- und Jugendrente. Unverheiratete Kinderlose sollten dafür den doppelten Beitrag und verheiratete Kinderlose den 1,5-fachen Beitrag zahlen, wie Verheiratete mit zwei Kindern. Schließlich kämen die Kinder später auch für die Renten derjenigen auf, die sich den Erziehungsaufwand und die Unterhaltskosten für Kinder gespart hatten, egal ob freiwillig oder unfreiwillig. Wilfrid Schreiber wollte nicht nur eine dynamische Rente, sondern auch eine dynamische Kinderkasse. Bei ihm war es ein Drei- Generationenvertrag und nicht ein Zwei-Generationenvertrag, wie der heutige.

Konrad Adenauer soll diese Idee mit den Worten abgelehnt haben: „Kinder kriegen die Leute immer“. Als damals 81-jähriger Katholik, vier Jahre vor der Anti-Baby-Pille konnte man vielleicht dieser Ansicht sein. Heute wissen wir aber, dass er mit seiner Aussage etwas daneben lag.

Ob die jetzigen staatlichen Leistungen für Familien und Kinder, die fehlende Umsetzung dieses Teils des Schreiber-Plans ausgleichen, darüber streiten sich die Gelehrten. Ehemalige Verfassungsrichter, wie Paul Kirchhof und Roman Herzog, sind der Meinung, dass sie es nicht tun.

Eine Maßnahme um diese Lücke ein kleines bisschen zu schließen, wird neuerdings Mütterrente genannt. Ich darf Ihnen die Passage aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zitieren. Dort heißt es unter der Überschrift „Kindererziehung besser anerkennen (Mütterrente)“:

„Die Erziehung von Kindern ist Grundvoraussetzung für den Generationenvertrag der Rentenversicherung. Während Kindererziehungszeiten ab 1992 rentenrechtlich umfassend anerkannt sind, ist dies für frühere Jahrgänge nicht in diesem Umfang erfolgt. Diese Gerechtigkeitslücke werden wir schließen. Wir werden daher ab 1. Juli 2014 für alle Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, die Erziehungsleistung mit einem zusätzlichen Entgeltpunkt in der Alterssicherung berücksichtigen. Die Erziehungsleistung dieser Menschen wird damit in der Rente besser als bisher anerkannt.“

Die erste Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im bundesdeutschen Rentenversicherungssystem gab es übrigens bereits im Jahr 1986. Damals wurde sie unter dem Stichwort „Babyjahr“ eingeführt.

Wenn wir heute sagen, die Einhaltung und Erfüllung des Generationenvertrages ist abhängig von einer guten Familienpolitik, dann setzen wir damit also nur eine Diskussion fort, die ihn seit Anfang an, seit dem ersten Entwurf von Wilfrid Schreiber begleitet.

Im Titel meines Vortrages kommen die Stichpunkte Generationenvertrag, Familie und Wirtschaft vor. Ein Punkt fehlt in dieser Aufzählung, aber schließlich wollte ich Sie nicht mit einem zu langen Titel erschrecken. Wenn man beim Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft zu Gast ist, darf er aber nicht fehlen. Es ist der Stichpunkt Bildung. Ich möchte die Brücke zwischen Familie und Wirtschaft über das Thema Bildung schlagen.

In welcher Institution beginnt Bildung? Sicher nicht erst im Bildungswerk. Es ist aber auch nicht die Schule, auch nicht die Kindertagesstätte, sondern die allererste Bildungsinstanz ist die Familie. Sie ist und bleibt der primäre Lernort des Menschen. Kinder, die in sicherer Bindung an ihre primären Bezugspersonen ihre ersten Schritte ins Leben gehen können, entwickeln auch das Selbstvertrauen sich ihre Welt aktiv zu erschließen. Was jedoch in geschwächten, gestörten, überforderten Familien versäumt wird, können öffentliche Bildungseinrichtungen kaum auffangen. Daher ist eine Familienpolitik, die Familien unterstützt und stärkt, im Kern auch die beste Bildungspolitik. Wir haben in Thüringen in Kindergärten und Schulen bundesweit die besten Betreuungsverhältnisse. Bei uns sind Eltern nicht gezwungen mittags ihr Kind nach Hause zu holen, wie das in den alten Bundesländern noch weit verbreitet ist.

Pluspunkte für Thüringen sind nicht nur Wald und Wurst. Natürlich hat Thüringen schöne Natur und gute Küche, es hat auch eine beeindruckende Geschichte und kulturelle Tradition, es hat den Vorteil seiner zentralen Lage in Deutschland und Europa. Aber es ist auch ein familienfreundliches Land und es hat Kinder und Jugendliche, die ein gutes Thüringer Bildungssystem durchlaufen, wie viele Rankings immer wieder bestätigen. Das sind Pluspunkte die auch zusätzlich Arbeitskräfte von außerhalb anziehen können und müssen, damit Thüringer Firmen auch zukünftig stark und innovativ bleiben. Bereits jetzt ist der Wanderungssaldo nahezu ausgeglichen. Aber das reicht nicht. Wir müssen dringend für Zuwanderung nach Thüringen werben.

Auch wenn das sehr kleinteilige Thüringen Werbung nicht einfach macht. In Thüringen gibt es rund 90.000 Unternehmen in sehr unterschiedlichen Branchen. Diese Unternehmen konzentrieren sich auch nicht auf wenige Standorte. In den Städten Erfurt, Weimar und Jena sind nur 11 % der Thüringer Industriebeschäftigten tätig, also sind es immerhin 89 % in anderen Thüringer Regionen.

Wir können in Thüringen damit werben, dass wir die niedrigste Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands haben. Und wir liegen unter der Arbeitslosigkeit im Land Nordrhein-Westfalen. Die Thüringer Erwerbstätigenquote, bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis unter 65 Jahre, liegt seit 1997 ständig über dem ostdeutschen Durchschnitt, seit 2009 auch über dem westdeutschen Durchschnitt. Zum Stichtag 31.12.2012 war sie höchste in ganz Deutschland. Die Zahl der Erwerbstätigen ist von 2005 bis zum letzten Jahr um acht Prozent gestiegen.

Die Erwerbstätigenquote der Frauen in Thüringen lag 1993 bei 54,1%, 2003 bei 58,3% und steigt seit 2005 steil an. Im letzten Jahr lag sie bereits bei 71,3 % und damit an zweiter Stelle aller Bundesländer kurz hinter Brandenburg. Die Frauen in Thüringen sind nicht nur stark beschäftigt, sondern auch besonders qualifiziert. 51 % der beschäftigten Frauen haben Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Zum Vergleich in Westdeutschland sind es 37 %.

Bei den Ausbildungsplätzen gab es in Thüringen lange Zeit ein Defizit. In den Jahren 2009 und 2010 deckten sich Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen nahezu. Seit 2011 haben wir zu wenig Nachfrage, es bleiben Plätze unbesetzt. Wir hatten in Thüringen lange Zeit einen starren Arbeitsmarkt. Wegen der massiven Frühverrentung gab es nur noch geringe laufende Verrentung, also wenig Ersatzbedarf. Es gab wenig Fluktuation und auch wenig Erweiterungsbedarf. Dies ändert sich jetzt grundlegend. Nach einer Fachkräftestudie für Thüringen besteht bis zum Jahr 2020 ein Bedarf an 200.000 Arbeitskräften.

Zuwanderung allein wird diesen Bedarf allerdings nicht decken. Auch die schon vorhandenen Potentiale müssen besser genutzt werden, zum Beispiel in dem Teilzeitarbeit verstärkt in Vollzeitarbeitsverhältnisse umgewandelt wird, oder die Arbeitsbedingungen für Ältere zielgerichtet verbessert werden. Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger werden. Unternehmen sollten bei Bedarf darin unterstützt werden Nachfolger zu finden. Und die Vernetzung von Hochtechnologieunternehmen und Forschungseinrichtungen muss weiter gestärkt werden.

Dies alles sind Bausteine für einen weiter erfolgreichen Wirtschaftsstandort Thüringen. Einer der wichtigsten Beiträge werden allerdings Veränderungen im Lohngefüge sein, ohne die sich der Thüringer Arbeitsmarkt nicht in der erforderlichen Weise entwickeln wird.

Ich hoffe, ich habe Sie mit den demografischen Zahlen am Anfang nicht zu sehr erschreckt. Manche erheben ja den Vorwurf, dass mit solchen demografischen „Drohkulissen“ der Wirtschaftsstandort Thüringen schlecht geredet würde. Wenn mit demografischen Studien befasste Institute von Wolferwartungsgebieten sprechen, dann wird das in einem betroffenen Landkreis vom Wirtschaftsdezernenten, der dort für das Standortmarketing zuständig ist, sicher nicht begeistern. Aber der erste Wolf in Thüringen ist ja jetzt am Stadtrand von Jena gesichtet worden. Der Wirtschaftsstandort Jena wird darunter sicher nicht leiden.

Demografische Szenarien sind angewandte Mathematik, und auch der beste Marketingexperte kommt nicht an der einfachen Tatsache vorbei, dass Mütter, die erst gar nicht geboren worden sind, auch keine Kinder bekommen können. Wenn demografische Szenarien kritisiert werden, sie dienten neoliberalen Hardlinern nur dazu, weiteren Sozialabbau voranzutreiben, in Wirklichkeit könne alles ganz anders kommen, so trifft dies für die demografische Entwicklung nicht ganz zu. Natürlich sind Prognosen immer unsicher – speziell wenn sie die Zukunft betreffen, und natürlich gibt auch kein ernsthafter Bevölkerungsforscher Prognosen für die tatsächliche Lage in 40 oder 50 Jahren ab, sondern er bietet Modellrechnungen an, die von verschiedenen Annahmen abhängen.

Aber diese Modellrechnungen bewegen sich doch alle in einem gewissen Korridor. Und selbst die Modellrechnung mit den optimistischsten Annahmen würde den Generationenvertrag allein nicht dauerhaft sichern können. Sichern kann ihn nur ein Faktor, der von den Kritikern düsterer Zukunftsszenarios ebenfalls angeführt wird, und das ist der Faktor Arbeitsproduktivität.

Nur eine stabile, gesunde Wirtschaft mit hoher Wertschöpfung dank ständig steigender Arbeitsproduktivität kann den Wohlstand erarbeiten, der nötig ist, um den Generationenvertrag mittel- und langfristig zu sichern.

Wir brauchen in Thüringen nicht nur Zuwanderung, nicht nur ein positives Wanderungssaldo, nicht nur eine Steigerung der Geburtenraten, sondern vor allem auch eine starke Wirtschaft. Die Zukunft des Generationenvertrages in Thüringen wird abhängig davon sein, ob wir sowohl in der Wirtschaftspolitik, als auch in der Familien- und Bildungspolitik die sich bietenden Chancen ergreifen.

Wer in der Wirtschaft arbeitet weiß, dass er neben Rohstoffen, Energie, Sachkapital und Geldkapital auch sogenanntes Humankapital braucht. Einem Sozialpolitiker klingt dieser Begriff nicht ganz so vertraut im Ohr, und wenn er nicht einfach von Menschen spricht, so liegt ihm der Begriff Sozialkapital näher. Er ist der Überzeugung, dass die Wirtschaft vom Sozialkapital einer Gesellschaft profitiert und selbst etwas dazu beitragen kann und sollte. Ja, dass mitunter vor lauter Schauen auf Bilanzzahlen etwas in den Hintergrund rückt, welch wichtige Rolle soziale Beziehungen spielen ‑ übrigens auch für das Erzielen guter Bilanzen.

Sie, als diejenigen, die das Projekt „Botschafterinnen für Existenzgründung und Unternehmertum“ entweder ins Leben gerufen, daran teilgenommen oder es unterstützt haben, wissen jedoch, wie wichtig soziale Beziehungen sind. Durch das Projekt können junge Menschen durch konkrete Vorbilder erfahren, welche Möglichkeiten vor ihnen liegen. Sie können auch auf einem Stück ihres Weges als Mentees von erfahrenen Mentorinnen begleitet werden.

Ich bin ein großer Anhänger von solchen Patenschaftsprojekten. Im letzten Jahr habe ich das erste bundesweite Treffen der Großelterndienste in Erfurt unterstützt. Es gibt „Leselernhelfer“ bzw. „Lesepaten“. Vertreter der mittleren Generation unterstützen als sogenannte „Familienpaten“ junge Familien oder Alleinerziehende, oder als „Jobpaten“ Arbeitssuchende. Junge Menschen unterstützen Kinder im bundesweiten Projekt „Balu und Du“ oder in lokalen Projekten wie dem Erfurter basement e.V., Schüler gehen wiederum in Sozialpraktika in Pflegeheime ebenso wie dies junge Freiwillige im freiwilligen sozialen Jahr tun.

Als das sind gelebte generationsübergreifende Beziehungen, wie sie sich ein Beauftragter für das Zusammenleben der Generationen nicht besser wünschen kann. Sie sind ein Beitrag dazu, dass sozialer Zusammenhalt und Teilhabe in unserer Gesellschaft möglich sind und bleiben. Meine Erfahrung ist, dass in Patenschaftsprojekten alle gewinnen und ich bin daher fast sicher, dass die nun folgenden Berichte der Mentorinnen und Mentees sowie der Evaluatorin dies auch bestätigen werden.

Ich möchte daher schon jetzt allen Beteiligten zu diesem gelungenen Projekt gratulieren und Ihnen für Ihren weiteren Weg alles Gute und weiterhin viel Erfolg wünschen.

 

Impuls zum Thema „Generationsübergreifende Arbeit“

Moderationskreistreffen der Mehrgenerationenhäuser, 3. Dezember 2013, Treff MEGEHA, Nordhausen

Generationenübergreifende Arbeit im weiteren Sinne hat es schon immer gegeben, denn ohne dass eine Generation von der anderen lernt und mit ihr zusammenarbeitet, hätte die menschliche Kultur nicht entstehen können. Aber in jüngerer Zeit ist das Miteinander der Generationen komplizierter geworden. Soziologen haben daher vier Generationenmodelle herausgearbeitet.

Das erste wäre das Modell der positiven Interdependenz, der Solidarität zwischen den Generationen, in der ein Vorteil für die eine Generation auch einen Vorteil für die andere Generation darstellt.

Das zweite Model ist die negative Interdependenz, der Generationenkonflikt. Hier prallen die unterschiedlichen Interessen der Generationen hart aufeinander.

Das dritte ist das Modell nicht der Inter-, sondern der Independenz, der Segregation, der getrennten Lebenswelten, so dass die Generationen keine Berührungspunkte mehr mit einander haben.

Und das vierte Modell ist das der Ambivalenz, das annimmt, dass es der Realität eher entspricht, wenn sowohl von positiven als auch von negativen Wechselwirkungen zwischen Generationen ausgegangen wird.

Für generationsübergreifendes Arbeiten könnte ein Denken in solchen Modellen heißen, vom letzten Ambivalenz-Modell auszugehen, das Modell drei und zwei, also Isolation und Konflikt, nicht dominieren zu lassen, und Modell eins, also die Solidarität zwischen den Generationen, anzustreben.

Aber schon die Frage, wie man den Begriff der Generation näher bestimmt, erweist sich als gar nicht so einfach. Aber auch für diesen Fall gibt es ja Professoren. Einer von ihnen, Kurt Lüscher, gibt die folgende Definition:

„Das Konzept der Generation dient dazu, kollektive oder individuelle Akteure hinsichtlich ihrer sozial-zeitlichen Positionierung in einer Bevölkerung, einer Gesellschaft, einem Staat, einer sozialen Organisation oder einer Familie zu charakterisieren und ihnen Facetten ihrer sozialen Identität zuzuschreiben. Diese zeigen sich darin, dass sich Akteure in ihrem Denken, Fühlen, Wollen und Tun an sozialen Perspektiven orientieren, für die der Geburtsjahrgang, das Alter oder die bisherige Dauer der Mitgliedschaft in der jeweiligen Sozietät oder die Interpretation historischer Ereignisse von Belang sind.“

Soviel einfacher hat man es mit einer solchen Definition vielleicht nicht, aber das liegt auch daran, dass der Generationenbegriff recht verschiedene Rollen in unterschiedlichen Zusammenhängen spielt. Soziologen unterscheiden mindestens vier Kontexte, in denen der Generationenbegriff verwendet wird: den genealogisch-familiensoziologischen, den pädagogischen, den historisch-gesellschaftlichen sowie den sozialpolitischen. Man sieht, wenn zwei dasselbe Wort benutzen, müssen sie noch lange nicht dasselbe meinen und haben die besten Voraussetzungen aneinander vorbeizureden.

Wir können uns einen Punkt von Herrn Lüscher näher anschauen. Geburtsjahrgang und Alter werden bei ihm getrennt aufgeführt, was beispielsweise besagt, dass in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft die Großeltern von gestern, von heute und von morgen sehr verschiedene Personengruppen sein können. So gesehen wäre es ein Fehler, wenn man das Bild, das man sich als Kind von den damaligen Großeltern gemacht hat, zum Beispiel unreflektiert auf die heutigen oder zukünftigen Großelterngenerationen überträgt. Dieser Punkt bedeutet auch, dass eine Generation nicht nur von ihrer Stellung in der Generationenfolge, sondern auch sehr stark von ihrer konkreten Zeit geprägt ist, ob wir nun zum Beispiel von der Generation der Kriegskinder oder von der der Babyboomer sprechen.

Dieses Phänomen hat übrigens schon der alte Goethe – im Vorwort zu Dichtung und Wahrheit ‑ beschrieben: „… ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein.“

Die Modernisierungsprozesse und die demografische Entwicklung haben heute dazu geführt, dass multilokale Familien entstanden sind, dass oft nur sehr lose oder keine Familienbeziehungen bestehen.

Durch Geburtenrückgang und Abwanderung wird der Zusammenhalt der Generationen in den Familien zunehmend geschwächt. Und daher findet sich in allen Altersstufen eine Tendenz hin zu einer abgeschlossenen Generationenkultur, die nur für die eigene Altersgruppe existiert und damit den Zugang zu anderen Altersgruppen erschwert.

So wurde in einer Studie festgestellt, dass zwei Drittel der 15 – 20-Jährigen keinen oder nur wenig Kontakt zu über 60-Jährigen haben. Aus der Generali-Altersstudie, welche in diesem Jahr veröffentlicht wurde, kann man herauslesen, dass 11 % der 65- bis 85-Jährigen keine Kinder und 24 % keine Enkelkinder haben, 21 % fehlen langjährige Freundschaften und 50 % haben keinen festen Freundes- und Bekanntenkreis.

Hier bietet sich für die Mehrgenerationenhäuser ein breites Betätigungsfeld, um wieder intensiveren Kontakt zwischen unterschiedlichen Generationen zu erreichen und der drohenden Vereinsamung im Alter vorzubeugen.

Interessant ist nur die Frage, ob und wie man auch die wirklich Hilfe-Bedürftigen erreicht. Oder ob sich in Mehrgenerationenhäusern vielleicht mehr die Seniorinnen und Senioren tummeln, die sowieso schon sehr aktiv sind und es auch ohne Mehrgenerationenhaus in ähnlichem Maße wären.

Im Jahr 1999 hat es in Bayern eine Tagung gegeben mit dem Titel: „Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der Generationenarbeit“. Mit dieser Tagung verband sich das Anliegen die traditionelle Altenarbeit in Richtung einer Generationenarbeit weiterzuentwickeln.

Dies auch unter dem Ansatz, wegzukommen von einer Haltung, in der allein die Betreuung im Vordergrund steht, hin zu einer Herangehensweise, die mehr Wert auf Prävention, auf Aktivierung und möglichst auch auf eine Öffnung hin zum Gemeinwesen legt.

Mit einer solchen Generationenarbeit sollen die Übergänge zwischen den Lebensaltern erleichtert und der Dialog zwischen den Generationen in Familie und Gesellschaft gefördert werden. Beispiele sind Jung-Alt-Projekte, der Dialog der Generationen, neue generationsübergreifenden Wohnformen oder die Angehörigenarbeit.

Dabei wird die Lebensphase „Alter“ aus generationenübergreifenden Zusammenhängen verstanden und nicht als in sich geschlossene Phase oder gar Sonderform des Lebens betrachtet. Alte Menschen werden als handelnde Subjekte ernst genommen und nicht auf Objektrollen reduziert.

Eine solche Generationenarbeit braucht sicherlich einen „langen Atem“. Manche Verständigungsschwierigkeiten zwischen Alt und Jung lassen sich nicht durch einzelne Projekte oder Events ausräumen. Gerade wenn man sich familienähnlichen Formen annähern will, sind möglichst regelmäßige Kontakte über einen längeren Zeitraum nötig.

Die Generationenarbeit sollte an jenen Themen und Anforderungen anknüpfen, die sich in den bisherigen Arbeitsformen, in der Altenarbeit bzw. der Kinder- und Jugendarbeit ohnehin stellen, z.B. in der Programmgestaltung für Senioren in Mehrgenerationenhäusern und Seniorentreffs, oder in den Lehrplänen und im Projektunterricht in den Schulen.

Bei welchen Motiven und Interessen der potentiellen Adressaten generationenübergreifender Arbeit kann angeknüpft werden?

Es sind die Wünsche nach mehr Kontakt, nach Förderung des Miteinanders, kurz nach sozialer Teilhabe. Oft wird der Wunsch geäußert noch etwas Nützliches tun zu können, mit anderen Worten gebraucht zu werden. Ebenso gibt es Wünsche noch etwas Neues zu erfahren, seinen Horizont zu erweitern, sich zu bilden. Und für manche ist es auch Motivation andere Generationen besser zu verstehen, um so mögliche Konflikte abzubauen.

Für generationenübergreifendes Arbeiten kann man auch nach den Zielgruppen fragen. Aus dem eben gesagten ergeben sich bereits sowohl die Kontakt- als auch die Bildungsinteressierten. Bei denjenigen, die sich nützlich machen wollen, kann man auch fragen, welcher Zielgruppe sie helfen könnten, ob z.B. bei der Unterstützung von Familien, oder Ältere bei der Betreuung von Kindern, siehe Großelterndienste oder Unterstützung bei den Hausaufgaben, oder bei der Förderung von Jugendlichen in Mentoring-Projekten, oder Jüngere bei Älteren, siehe regelmäßige Besuche von Schülern in Senioreneinrichtungen bis hin zu kleinen Hilfen im Haushalt.

Und an dieser Stelle eine letzte Frage für generationenübergreifendes Arbeiten könnte sein, welchen Themen man sich widmen will.

Wo es bereits vielfältige Kontaktmöglichkeiten zwischen Jüngeren und Älteren existieren, ohne dass ein bewusster generationenübergreifender Ansatz dahinter steht, sind der kulturelle und der sportliche Bereich. Aber das heißt ja nicht, dass man diese Gelegenheiten nicht auch „generationsbewusst“ schaffen kann.

Seien es nun Gelegenheiten zum Musizieren, Tanzen, Zeichnen, Modellieren, Theater spielen, gemeinsame Besuche von Museen und Ausstellungen, oder für viele sportliche Aktivitäten, die jetzt nicht einzeln aufführen will.

Ein weiteres Thema könnte die Natur sein, ob nun bei gemeinsamen Exkursionen oder beim gemeinsamen Gärtnern. Wobei Älteren zum Beispiel der Bau von Hochbeeten sehr entgegenkommen könnte.

Von der Generation der Kriegskinder hatte ich bereits gesprochen. Zeitzeugenprojekte können zu sehr intensiven und interessanten Dialogen zwischen den Generationen führen.

Wie unterschiedliche Generationen gemeinsam aktiv Freizeit gestalten, dazu sind der Phantasie letztlich keine Grenzen gesetzt. Das kann auch gemeinsames Kochen heißen. Bei einem Zeitzeugenprojekt in Saalfeld hat es sowohl die Älteren als auch die Jüngeren sehr berührt, gemeinsam Kriegs- und Nachkriegsgerichte zu kochen und dann auch gemeinsam zu essen. Solche Projekte setzen allerdings auch ein gewisses Maß an professioneller Begleitung voraus, damit Ältere vor zu starken Erinnerungen an traumatische Erlebnisse bewahrt werden.

Ein weiteres Thema wäre die Nutzung von Medien. Hier können die Jüngeren den Älteren die Nutzung der neuen Medien vorstellen. Die Thüringer Landesmedienanstalt oder der Landesfilmdienst haben auf diesem Gebiet auch das eine oder andere Angebot.

Abschließend will ich sagen, generationenübergreifende Arbeit ist für mich dann gut, wenn sie dazu beiträgt, Lebensqualität zu steigern, verfestigte Einstellungsmuster aufzubrechen, Konflikte zu minimieren und sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Generationsübergreifendes Lernen – Beispiele guter Praxis aus Thüringen

Regionalkonferenz „Bildung Älterer und generationsübergreifendes Lernen“ zur Weiterentwicklung der Europäischen Agenda für Erwachsenenbildung, 14.11.2013, Aula der Volkshochschule Leipzig

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Professor Schöne,

herzlichen Dank Ihnen, dass Sie mich nach gut zwei Jahren erneut in mitteldeutscher Verbundenheit zu einer Ihrer Veranstaltungen eingeladen haben.

Über was reden wir beim lebenslangen Lernen, warum, mit welchem Zweck und wie lange soll lebenslanges Lernen oder Lehren gehen? Auf diese Fragen werde ich bei meinem Vortrag eingehen und auch einzelne Praxisbesispiele benennen.

Wer sich mit dem Thema Lernen beschäftigt, dem fällt früher oder später auf, dass es zu diesem Verb keine Substantivierung mit dem Suffix „ung“ gibt. Es gibt keine Lernung. Die entsprechende zum Lernen passende Substantivierung ist vielmehr das Wort Bildung. Lernen ist kein Selbstzweck, sondern es dient der Bildung.

Ein Mensch kommt nicht fertig, mit angeborenen Fähigkeiten zur Welt, sondern er muss sie erst ausbilden, angefangen vom Laufen auf zwei Beinen und vom Sprechen bis hin zu allen folgenden. Ja, seine ganze Persönlichkeit in allen ihren Facetten bedarf des Ausbildens über viele Jahre. Und selbst in seinen letzten Jahren kann der Mensch noch an Weisheit zunehmen.

Zum Thema Bildung haben uns nun Persönlichkeiten, die in Thüringen gewirkt haben, einiges zu sagen. Wer nach Weimar kommt, der stößt nicht nur auf die Spuren von Goethe und Schiller, sondern auch auf die von Johann Gottfried Herder. In seiner Schrift „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ hat er den Unterschied zwischen bildbaren und bildungsbedürftigen Menschen und instinktgeleiteten und –getriebenen Tieren in dem Satz zusammengefasst:

„Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung.“

Im nächsten Absatz führt er dazu näher aus:

„So ist der Mensch im Irrtum und in der Wahrheit, im Fallen und Wiederaufstehen Mensch, zwar ein schwaches Kind, aber doch ein Freigeborner; wenn noch nicht vernünftig, so doch einer bessern Vernunft fähig; wenn noch nicht zur Humanität gebildet, so doch zu ihr bildbar.“

Dieses „bildbare“, dieses frei formbare der Fähigkeiten und Kenntnisse hat es den Menschen ermöglicht Zivilisation und Kultur zu errichten. So gesehen sind Lernen und Bildung untrennbar mit dem menschlichen Leben verbunden, ja Voraussetzung menschlicher Existenz. Umso bedauerlicher ist, wenn Menschen, ob nun durch negative Erfahrungen in der Schule oder einen zu engen Begriff von Lernen und Bildung diesen engen Zusammenhang mit dem menschlichem Leben in seiner vollen Ausprägung nicht sehen können oder wollen.

Bedauerlich ist es auch, wenn der Begriff des Lernens und der Bildung instrumentalisiert und auf das ökonomisch verwertbare verkürzt wird. Wer ernsthaft die Frage stellen sollte, was es denn für einen Nutzen hat, wenn ein 70-jähriger etwas für seine Bildung tun möchte, zeigt damit nur, dass er offenkundig nicht begriffen hat, was seine menschliche Existenz über das Tierreich erhebt.

Wenn Sie in Erfurt über den Anger zur Thüringer Staatskanzlei gehen, kommen Sie am Haus Dacheröden vorbei. Wissen Sie, wer hier 1791 um die Hand der Tochter des Hauses, Caroline von Dacheröden, anhielt? Es war ein Mann, um den man beim Begriff der Bildung nicht herumkommt: Wilhelm von Humboldt.

Das Humboldtsche Bildungsideal wird heute gern des verstaubten Gelehrtenbegriffs verdächtigt, aber es zielt im Kern auf das Eigentliche des menschlichen Lebens.

Er hat es selbst auf den Begriff gebracht:

Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben.“

Mit anderen Worten: Lernende Aneignung der Welt ermöglicht die Ausbildung und Ausprägung des Menschen. Sie befähigt ihn ein Leben zu führen, dass der Würde des Menschen entspricht.

Aneignen der Welt, Lernen, sich bilden – was steht dem entgegen? Was sind Barrieren des Lernens im Alter?

Herr Professor Schöne, hier kann ich an meine Rede vor zwei Jahren auf Ihrer Veranstaltung in der TU Chemnitz anknüpfen. Ich hatte damals auf die Gefahren der Vereinsamung im Alter hingewiesen. Lernen setzt Begegnung mit anderen Menschen voraus, von und mit denen man lernen kann.

Sollten Sie bisher in meiner Rede ein Goethe-Zitat vermisst haben, so biete ich Ihnen jetzt gleich zwei. Im „Tasso“ lässt Goethe den Antonio sagen:

„Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur das Leben lehret jedem, was er sei.“

Und in einem Brief an die junge Julie Gräfin von Egloffstein schrieb Goethe:

„Seht, liebe Kinder, was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nicht aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideenaustausch, durch heitere Geselligkeit müsst ihr lernen.“

Alterseinsamkeit, der fehlende Umgang mit anderen Menschen, steht Lernen und sich bilden eindeutig entgegen. Zu den Faktoren, die zu Alterseinsamkeit führen können und die gesellschaftlich beeinflussbar sind, gehören Altersarmut und Altersdiskriminierung.

Die Europäische Union hatte das Jahr 2012 zum Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen ausgerufen. Und durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes war es zum Jahr gegen Altersdiskriminierung ausgerufen worden. Viele Projekte, Aktionen und Veranstaltungen im vergangenen Jahr zeigten, was alles unternommen werden kann, um älteren Menschen mehr Möglichkeiten zur Teilhabe zu schaffen.

Voraussetzung für Bildungsmöglichkeiten im Alter sind ein Rentensystem, das – wie es so schön heißt – „auskömmliche“ finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, um sein Leben auch im Alter eigenverantwortlich gestalten zu können.

Und Voraussetzung ist eine Abkehr von der altersdiskriminierenden Einstellung, Rentner seien Menschen zweiter Klasse, die nur noch eingeschränkt Ansprüche stellen dürften.

Bildungsmöglichkeiten im Alter stehen aber auch individuelle Faktoren entgegen. Jeder kann auch selbst etwas für sich tun. Zur Altersdiskriminierung gehört auch das Klischee von den dementen Alten, die ihrem Alzheimer-Endzustand entgegendämmern. Aber selbst eine Alzheimer-Erkrankung ist kein Schicksal, das man nur passiv hinzunehmen hat.

In den USA hatte sich ein Forscher überlegt, wie er diese Erkrankung am besten in einer Langzeituntersuchung erforschen kann, wie er eine Untersuchungsgruppe findet, die möglichst identische und über viele Jahre stabile Lebensumstände aufweist. Er fand sie in einem Nonnenorden. Die Nonnen waren zwar für ihr Alter überdurchschnittlich fit, aber bei einem Teil der Nonnen fanden sich dennoch die erwarteten Erscheinungen, zunehmende geistige Einschränkungen in den jahrelangen Tests verbunden mit den typischen Eiweißablagerungen, die man bei der Obduktion im Gehirn fand. Aber die große Überraschung war, dass sich bei einem Teil der Nonnen ein Obduktionsbefund ergab, der zum Demenzgrad sechs, zum absoluten Alzheimer-Endstadium, gehörte, obwohl diese Nonnen bei den Tests zuvor keinerlei Einbußen ihrer geistigen Leistungen gezeigt hatten. Der Forscher vertritt seit dem die These, dass nachlassende geistige Fähigkeiten – zumindest teilweise – auf das Konto von Schlaganfällen gehen. Er konnte bei vielen dementen Nonnen nachweisen, dass ihre Gehirne durch mehrere kleine Schlaganfälle gezeichnet waren, zusätzlich zu den bekannten Eiweiß-Ablagerungen. Aber gegen die Gefahr von Schlaganfällen kann man selbst etwas tun, nämlich gesünder leben. Das heißt, viel Bewegung, nicht Rauchen, wenig Alkohol. Ein Lebensstil, der Bluthochdruck und Übergewicht entgegen wirkt, ist auch die beste Schlaganfall-Prophylaxe.

Ein weiterer individueller Faktor ist die Motivation. Der Neurobiologe Gerald Hüther erzählt zum Thema Motivation gern das Beispiel von einem 85-Jährigen Deutschen, der Chinesisch lernen möchte. Und stellt die Frage: Wo und wie wird dieser 85-Jährige es leichter lernen? In einem Kurs an einer Volkshochschule, wie der, in der wir uns befinden – ich habe nachgesehen hier wird Chinesisch angeboten, nachlesbar auf Seite 288 des Bildungskatalogs – oder indem er sich in eine junge, hübsche Chinesin von 75 Jahren verliebt und mit ihr in ein kleines chinesisches Dorf zieht?

Die Frage beantwortet sich natürlich selbst, aber dass ein Neurobiologe sie ernsthaft stellt, wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen. Es ist eine Erkenntnis erst der jüngeren Zeit, dass auch im Gehirn eines 85-Jährigen sich noch einiges verändern kann. Bis vor wenigen Jahren galt das Gehirn des erwachsenen Menschen als wenig wandelbar.

Dank neuer bildgebender Verfahren wissen wir jetzt aber, dass sich das Gehirn auch im hohen Alter noch umgestaltet, und dass die sogenannte „neuronale Plastizität“ nicht nur eine Erscheinung der Kindheit und Jugend ist. Erst letzte Woche hat der Chef der Uni-Klinik für Neurologie in Jena, dies in einem Interview für die Thüringer Landeszeitung geschildert. Aber dafür, dass sich im Kopf etwas tut, braucht es einen Grund. Und der beste Grund, der zu Lernprozessen motiviert, ist die Begegnung mit anderen Menschen, wie schon Goethe wusste, ob nun mit einer „jungen“ Chinesin oder mit anderen.

Aneignen der Welt, Lernen, sich bilden – wo geschieht das? Wo finden wir geeignete Lernorte? Nicht jeder wird in ein kleines chinesisches Dorf ziehen wollen. Wo sind heute in Thüringen Lernorte für generationsübergreifendes Lernen, Beispiele guter Praxis, wo sich Menschen aktiv begegnen können?

Als erstes denken wir hier an eine Institution, die es überall gibt, wo Menschen leben, ob in Thüringen oder anderswo. Es ist die Institution der Familie. Sie ist und bleibt der primäre Lernort des Menschen. Kinder, die in sicherer Bindung an ihre primären Bezugspersonen ihre ersten Schritte ins Leben gehen können, entwickeln auch das Selbstvertrauen sich ihre Welt aktiv zu erschließen. Was jedoch in geschwächten, gestörten, überforderten Familien versäumt wird, können öffentliche Bildungseinrichtungen kaum auffangen. Daher ist eine Familienpolitik, die Familien unterstützt und stärkt, im Kern auch die beste Bildungspolitik.

Aber nicht alle älteren Menschen haben das Glück, in der Familie Enkel und Urenkel in deren Lernprozessen zu begleiten – und dabei selbst immer noch etwas dazu zu lernen. Entweder hat der Geburtenrückgang, die Unterjüngung unserer Gesellschaft dazu geführt, dass sie erst gar nicht vorhanden sind oder sie sind fortgezogen und es ist das entstanden, was neudeutsch eine multilokale Familie genannt wird.

Wo Familien fehlen, kann man aber dennoch Lernorte für generationsübergreifendes Lernen schaffen. Ich denke hier an die 25 Mehrgenerationshäuser mit ihren generationenübergreifenden Angeboten in Thüringen, 33 gibt es in Sachsen, 22 in Sachsen-Anhalt und bundesweit 450. Hier begegnen sich Jung und Alt und können von- und miteinander lernen. Sie profitieren gegenseitig von ihren unterschiedlichen Kompetenzen, Erfahrungen und Interessen. In der Programmphase II des Bundesaktionsprogramms Mehrgenerationshäuser, die zu Beginn des letzten Jahres startete, gehört Bildung ausdrücklich zu einem der vier Schwerpunkte. Ich selbst arbeite eng mit den Mehrgenerationenhäusern zusammen und setze mich intensiv für den Erhalt und die nachhaltige Sicherung ihrer Arbeit ein.

Ein dritter beispielhafter Lernort sind für mich die Großelterndienste. Wie wichtig Großeltern für Kinder sind, können Sie übrigens auch bei Goethe nachlesen, er fühlte sich gemeinsam mit seiner Schwester von den Erziehungsprinzipien seines Vaters mitunter etwas überfordert und so schrieb er in „Dichtung und Wahrheit“:

„Vor diesen didaktischen und pädagogischen Bedrängnissen flüchteten wir gewöhnlich zu den Großeltern.“

Aber was sie bei ihren Großeltern erlebten, waren dennoch auch Lernprozesse, wenn auch unterschwellig und informell. Vorbehaltlose Annahme durch Großeltern, ob es nun die „leiblichen“ sind, oder „Leihomas“ oder „-opas“, stärkt die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern. Und die Großeltern vermeiden fur sich Alterseinsamkeit und können Erfüllung in neuen Aufgaben finden.

Generationsübergreifende Patenschaftsmodelle gibt es nicht nur in Form der Großelterndienste. Ich denke hier zum Beispiel an die „Leselernhelfer“ bzw. „Lesepaten“. Vertreter der mittleren Generation unterstützen als sogenannte „Familienpaten“ junge Familien oder Alleinerziehende, oder als „Jobpaten“ Arbeitssuchende; junge Menschen unterstützen Kinder im bundesweiten Projekt „Balu und Du“ oder in lokalen Projekten wie dem Erfurter basement e.V., Schüler gehen wiederum in Sozialpraktika in Pflegeheime ebenso wie dies junge Freiwillige im freiwilligen sozialen Jahr tun. All dies sind Lernorte für generationsübergreifendes Lernen.

Inzwischen hat sich auch der Bundesfreiwilligendienst zu einem solchen Lernort entwickelt. Er hat eindeutigen Bildungscharakter. Im Paragraph 1 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes heißt es ausdrücklich:

Der Bundesfreiwilligendienst fördert lebenslanges Lernen.“

und im Paragraphen 4:

„Der Bundesfreiwilligendienst wird pädagogisch begleitet mit dem Ziel, soziale, ökologische, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken.“

Wir haben in Thüringen nicht nur die meisten Bundesfreiwilligen, bezogen auf die Bevölkerung, wir haben auch die ältesten. Nach einer Statistik im September 2013 waren in Thüringen 88 % der Bundesfreiwilligen älter als 27 Jahre, in den alten Bundesländern waren 85 % jünger und nur 15 % älter. Mit einem 82-jährigen Nordhäuser hatten wir in Thüringen auch bundesweit den bisher ältesten Bundesfreiwilligen. Die zahlenmäßig größte Gruppe bilden in Thüringen die 51 – 65 Jährigen. Dies sind in der Regel Menschen, die leider nur noch geringe Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, die aber das Gefühl haben wollen, gebraucht zu werden und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Für sie bietet der Bundesfreiwilligendienst einen Lernort sich Kompetenzen zu erwerben, der immer wieder auch in einzelnen Fällen dazu führt, dass sie von den Trägern in reguläre Arbeitsverhältnisse übernommen werden.

Lebenspraktisches generationsübergreifendes Lernen findet sich noch an vielen anderen Orten mehr, ich denke hier an Projekte des Generationenwohnens, wie in Arnstadt, oder an die enge Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Seniorenheimen, wie in zwei diakonischen Einrichtungen in Erfurt.

Im Flur vor meinen Diensträumen im Thüringer Sozialministerium hängt eine Fotoausstellung, die Senioren des Erfurter Seniorenschutzbundes gemeinsam mit Erfurter Schülern gestaltet haben. Hier sind Jung und Alt gemeinsam zu sehen, ob beim Musizieren, beim Umgang mit Computern oder bei anderen Vorhaben.

Welche Möglichkeiten sich im Bereich des Sports finden, wäre ein eigenes Redekapitel wert.

Aber ich hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Einblick – und mehr ist an dieser Stelle nicht möglich – in die vielen Möglichkeiten generationsübergreifenden Lernens geben konnte.

Was hatte Goethe im Brief an Julie von Egloffstein als idealen Lernort beschrieben?

„Heitere Geselligkeit“ – die wünsche ich Ihnen bei dieser heutigen Tagung, ebenso wie bei noch vielen weiteren Gelegenheiten in Ihrem Leben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

„Strategien zur Fachkräftegewinnung“

Rede beim 4. bpa-Pflegekongress 2012 (Landesgruppe Thüringen des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V.) 17. Oktober 2012

Sehr geehrte Frau Wolf, sehr geehrter Herr Engemann, sehr geehrte Damen und Herren,

bereits seit dem 1. Pflegekongress des bpa bin ich bei Ihnen zu Gast und auch in diesem Jahr gerne wieder mit einem Grußwort zu Ihnen gekommen. Als Landesbeauftragter für das Zusammenleben der Generationen bin ich im TMSFG nicht für den Bereich Pflege explizit zuständig, aber ich bin dem Thema Pflege seit vielen Jahren sehr verbunden.

Lassen Sie mich einige Ausführungen zur Demografie, zur Pflegesituation, zur Ausbildungssitutation und zu den gesellschaftlichen Veränderungen machen.

1. Demographische Rahmenbedingungen

Im Jahr 2050 wird sich nach den vorliegenden Bevölkerungsvorausberechnungen die Einwohnerzahl Thüringens im Vergleich zu 1950 annähernd halbiert haben (1950: 2.932.242, 2050: 1.538.200).

Im Jahr 2030 werden über ein Drittel der Thüringerinnen und Thüringer älter als 65 Jahre sein. Auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren werden dann 70 Personen über 65 Jahre kommen. Im Jahr 2008 waren es noch nur 36 Personen über 65 Jahre. Etwas verkürzt und gerundet könnte man sagen, stehen jetzt 10 erwerbsfähigen 3 Rentner gegenüber – so werden es im Jahr 2030 in Thüringen 7 Rentner sein. Gestern hat der Thüringer Wirtschaftsminister in einem Zeitungsbeitrag davor gewarnt, mit demografischen Prognosen den Standort Thüringen schlecht zu reden. Er hat sich dabei u.a. auch auf falsche Prognosen zur Einwohnerzahl Erfurts und zum Wanderungssaldo bezogen. Fakt ist allerdings, dass die Entwicklung Erfurts zu Lasten des Umlandes geht und die Thüringer Zahlen insgesamt nicht voran bringt und dass leichte Verbesserungen im Wanderungssaldo die langanhaltend niedrige Geburtenrate in keinem Fall kompensieren können.

2. Auswirkungen der demografischen Entwicklung im Bereich der Pflege

Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt und der potentiellen Pflegekräfte sinkt. Die Wirkungen der Demografie werden nicht nur direkt, sondern auch indirekt sein. Laut der einschlägigen Prognosen wird mit steigenden Erwerbsquoten gerechnet. Reserven hierfür bestehen besonders bei Frauen. Diese werden dann allerdings nicht mehr für die private häusliche Pflege von Angehörigen zur Verfügung stehen können und so den Bedarf an professionellen Pflegefachkräften weiter erhöhen. Heute liegt die Zahl der Älteren und Hochaltrigen, die hilfe- und pflegebedürftig sind, in der Bundesrepublik Deutschland bei ca. 2,4 Millionen, im Jahr 2030 werden es über 3,3 Millionen Menschen sein. 1,2 bis 1,4 Millionen Menschen sind an Demenz erkrankt. Auch ihre Zahl wird deutlich zunehmen. Rund 1,2 Millionen Pflegebedürftige erhalten stationär oder ambulant regelmäßig Hilfe und Unterstützung durch professionelle Pflegekräfte.

Heute existieren 11.600 stationäre Pflegeeinrichtungen und 12.000 ambulante Dienste mit nahezu 900.000 Beschäftigten. Rund 200.000 Altenpflegerinnen und Altenpfleger arbeiten in der Altenpflege. 3. Zahlen für Thüringen: (leider ist der aktuellste verfügbare Stand vom Ende des Jahres 2009: 77.000 Menschen, die pflegebedürftig sind (3,4 v. H. der Bevölkerung), davon werden 56.500 Pflegebedürftige zu Hause betreut, 37.800 Menschen werden durch ihre Angehörigen gepflegt, 18.700 Menschen werden durch etwa 400 ambulante Pflegedienste betreut.

Die Pflege im häuslichen Bereich macht in Thüringen mit etwa 75 vom 100 den Hauptanteil der Pflege aus. 20.500 pflegebedürftige Menschen werden in Alten- und Pflegeheimen betreut. 4. Personal (ambulant und stationär) In den Pflegeeinrichtungen arbeiten 22.716 Personen, davon 7.351 (32 %) vollzeitbeschäftigt,12.932 (57 %) teilzeitbeschäftigt. Von diesem Personal sind 16.988 (74,8 %) unmittelbar im Bereich Pflege und Betreuung beschäftigt. Fachpersonal zu gewinnen wird als zunehmend schwierig geschildert. Eine der Konsequenzen: Im Jahr 2011 wurde für sieben Einrichtungen ein Aufnahmestopp ausgesprochen, da die vorgeschriebene Fachkraftquote von 50% unterschritten wurde.

Eine aktuelle Studie der Prognos AG mit dem Titel „Pflegelandschaft 2030“ prognostiziert bei unveränderten Rahmenbedingungen für das Jahr 2030 eine Pflegelücke in Höhe von 737.000 Personen. Bereits bis zum Jahr 2020 ergäbe sich eine Lücke in Höhe von 378.000 Pflegekräften. Was getan werden kann, um die Situation im Pflegebereich zu verbessern und den sich auftuenden Lücken vorzubeugen, darüber herrscht in der Diskussion zwischen Bund, Ländern und Trägern Einigkeit. Gestritten wird aber um die konkrete Umsetzung einzelner Schritte und besonders um deren Finanzierung.

3. Verbesserung der Ausbildungssituation

– Es müssen die Ausbildungsanstrengungen verstärkt und die Ausbildungskapazitäten bedarfsorientiert erhöht werden.

– Das Nachqualifizierungspotenzial muss besser erschlossen werden, u.a. in dem Aufstiegswege optimiert und die Anrechnung von Qualifikationen verbessert wird.

– Die Weiterbildung ist auf hohem Niveau zu sichern.

– Die Berufe der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege sollten zusammengeführt werden.

– Die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen im Pflegebereich ist zu verbessern.

– Hilfreich wären berufsorientierte Sprachkurse für ausländische Pflegekräfte und generell die Entwicklung einer Willkommenskultur.

– Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Ausbildung in der Altenpflege bedarf unterstützender Maßnahmen.

– Es geht um attraktive Arbeitsbedingungen, einschließlich der Vergütung, in der Altenpflege, gestützt durch eine bessere gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung.

4. Verweildauer im Pflegeberuf

Ein wünschenswertes Ergebnis des letzten Punktes wäre die Erweiterung der Berufsverweildauer der Pflegekräfte. Wir wissen, dass die durchschnittliche Verweilzeit von Altenpflegekräften derzeit bei lediglich etwa 8,4 Jahren liegt, wobei examinierte Kräfte mit 12,7 Jahren eine deutlich höhere Verweildauer aufweisen als nicht examinierte mit 7,9 Jahren. Krankenpflegehilfskräfte verweilen dagegen im Durchschnitt 7,5 Jahre im Beruf, die besser ausgebildeten Krankenschwestern 13,7 Jahre.

Auffällig dabei ist: Je besser die Ausbildung der Pflegekräfte, desto höher die Verweildauer. Auf all die genannten und weitere Maßnahmen wollen sich Bund, Länder und Kommunen, die Wohlfahrtsverbände, die Fach- und Berufsverbände der Altenpflege, die Bundesagentur für Arbeit, die Kostenträger und die Gewerkschaften im Rahmen der geplanten „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ einigen. Ich hoffe und wünsche mir, dass es zügig zum gemeinsamen Beschluss dieser Offensive kommt.

5. Finanzierung drittes Ausbildungsjahr

Unter anderem auch um zu einer bundeseinheitlichen Regelung der Finanzierung des dritten Umschulungsjahres in der Pflege zu gelangen. Wie bekannt, hatte die Bundesagentur für Arbeit von 2009 bis 2010 im Rahmen des Konjunkturpaketes auch das dritte Ausbildungsjahr finanziert. Danach ist es allerdings leider nicht zur vorgesehenen einhelligen Übernahme der Kosten durch die Länder gekommen. Das dritte Jahr übernehmen einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Hessen (voll) und Niedersachsen (nur Schulgeld). Die Bundesagentur für Arbeit soll erneut bis 2015 wieder dazu ermächtigt werden, die vollen drei Jahre zu finanzieren, die ein Arbeitsloser für eine Umschulung zum Alten- oder Krankenpfleger benötigt.

6. Aktuelle Diskussionthemen in der Pflege

In Thüringen stehen wir im Diskussionsprozess zu einem „Thüringer Pflegepakt“, der den bundesweiten Diskussionsprozess aufgreift und u.a. auch dabei helfen soll, der Abwanderung von Pflegefachkräften entgegenzuwirken. Damit junge mobile Pflegefachkräfte nicht nach Bayern oder Hessen, oder noch weiter in die Schweiz oder nach England abwandern, müssen wir auch dazu kommen, dass Thüringen bei der Vergütung von Pflegefachkräften in bundesweiten Vergleichen davon wegkommt, nur letzte oder vorletzte Plätze zu belegen und deutlich unter dem Bundesdurchschnitt zu liegen. Natürlich sind in manchen Gegenden Deutschlands wie z.B. in München die Lebenshaltungskosten und damit auch oft die Vergütungen höher, aber die niedrigeren  Lebenshaltungskosten in Thüringen können nicht alle Vergütungsunterschiede rechtfertigen.

Wenn wir es schaffen, zwar bedarfsgerecht auszubilden, die Fachkräfte dann aber abwandern, dann muss auch bei der Vergütung gegengesteuert werden. Zu den Rahmenbedingungen der Pflege gehört es auch, über eine neue Definition des Pflegebegriffes zu sprechen, wie er sich auch in der Diskussion zur Demenz abzeichnet. Pflege und Betreuung umfasst mehr als an Pflegebedürftigen zu verrichtende Aktivitäten. Sie kann nicht wie die Arbeitsschritte an einer Drehbank bei der Bearbeitung eines Werkstücks auf die Sekunde normiert werden.

7. Diskussion um den Begriff des Alters generell, Altersbilder, Altersdiskriminierung

Neben den bereits geschilderten aktuellen Punkten müssen wir u.a. einen hohen Anteil von Alleinlebenden im Alter (bei Frauen ab 65 Jahren sind es 45%) rgistrieren. Wir wissen Singularisierung führt zu Hospitalisierung. Mit steigender Anzahl Alleinlebender steigt die Zahl stationär zu Betreuender. Dem gilt es entgegenzuwirken (z.B. durch ehrenamtliches freiwilliges Engagement, Unterstützung von Mehrgenerationenhäusern). Alle Menschen, auch ältere, ob pflegebedürftig oder nicht, haben ein Anrecht auf bestmögliche Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Allein zum letzten Themenkoplex könnten wir heute noch Stunden weiterdiskutieren und als Generationenbeauftragter würde ich dies auch leidenschaftlich gerne tun. Ich werde dies, wenn es gewünscht ist, gerne bei den nächsten Pflegekongressen mit dem bpa tun. Für heute wünsche ich der Tagung viel Erfolg! 

(Hintergrundinformation zum bpa: Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) bildet mit mehr als 7.500 aktiven Mitgliedseinrichtungen (davon fast 200 in Thüringen) die größte Interessenvertretung privater Anbieter sozialer Dienstleistungen in Deutschland. Einrichtungen der ambulanten und (teil-) stationären Pflege, der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendhilfe in privater Trägerschaft sind im bpa organisiert. Die Mitglieder des bpa tragen die Verantwortung für rund 230.000 Arbeitsplätze und ca. 17.700 Ausbildungsplätze. Das investierte Kapital liegt bei etwa 18,2 Milliarden Euro. Mit rund 3.700 Pflegediensten, die ca. 170.000 Patienten betreuen, und 3.800 stationären Pflegeeinrichtungen mit etwa 250.000 Plätzen vertritt der bpa mehr als jede vierte Pflegeeinrichtung bundesweit.)

 

Ein Jahr BFD – alles anders?

Rede zum Fachtag der Liga und des BZG 19. Juni 2012, Augustinerkloster Erfurt

Hat der Bundesfreiwilligendienst die bisherigen Freiwilligendienste oder Formen des klassischen Ehrenamts verändert?“

Sehr geehrter Herr Grießmann, sehr geehrter Herr Dr. Hauf, sehr geehrter Herr Spenn, sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass wir die heutige Tagung gemeinsam ausrichten. Als Beauftragter für das Zusammenleben der Generationen tue ich dies gemeinsam mit der Liga sehr gerne, weil wir von Anbeginn an zum Bundesfreiwilligendienst miteinander im Gespräch waren. Als wir die Tagung miteinander geplant haben, wurde gerade sehr intensiv um den BFD geworben und uns ging es darum, alle beteiligten Partner an einen Tisch zu bringen. Alle Partner sind heute da und damit ist die Voraussetzung gut, dass wir noch bestehende Probleme lösen können.

Fast auf den Tag genau ein Jahr Bundesfreiwilligendienst – wir reden heute über ein Projekt, welches innerhalb von nur einem Jahr zu einem Erfolgsmodell geworden ist, welches wir nun gemeinsam weiterentwickeln wollen. Der BFD ist so erfolgreich dank der Mitarbeit aller Beteiligten – der Bundesfreiwilligen, der Einsatzstellen, der Träger, der Sitzendverbände, der (vier Thüringer) Regionalbetreuer, der beteiligten Partner (Kommunen, Arbeitsagenturen) und des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BaFzA).

Heute steht die Forderung nach einer Aufstockung der Plätze im Raum – vor einem Jahr war es hingegen eher die Sorge ob sich genügend Freiwillige und Trägerstellen finden würden. Die Dynamik der Entwicklung war so nicht absehbar, aber sie ist ausgesprochen erfreulich!

Einige Sätze zu Beginn als Chronologie zum BFD:

Es gab drei erfolgreiche Modelle, die auch als Geburtspaten betrachtet werden können, als das Bundeskabinet im Dezember 2010 und einige Monate später auch der Bundestag den Beschluss zur Aussetzung der Wehrpflicht fassten. Dieser Beschluss bedeutete auch das Ende des Zivildienstes.

Im Zivildienst gab es 2010 noch 78.388 Einberufungen und daraus resultierend rund 37.000 gleichzeitig Dienstleistende.

Es gab dazu seit vielen Jahren die Jugendfreiwilligendienste FSJ, FÖJ, die Jugendauslandsdienste und im Bereich der Kultur sowie des Sports die Freiwilligendienste. Diese haben als Zielgruppe junge Menschen bis 27 Jahre. In Thüringen gibt es davon im Thüringenjahr derzeit 1.150.

Zudem gab es als Modellprojekt den Freiwilligendienst aller Generationen (FdaG). Das Modell des FdaG lief zum Ende des Jahres 2011 aus. 8.343 Freiwillige waren dabei in 1.831 Einsatzstellen engagiert. Allerdings gab es in Thüringen mit 191 Freiwilligen vergleichsweise wenig Teilnehmer. Der FdaG richtete sich an die Adresse überwiegend Älterer.

Anfang 2011 gab es auf Anregung der Caritas, erstmals Gespräche von Vertretern der LIGA mit den Verantwortlichen des Bundes für den Zivildienst, um über den geplanten BFD ins Gespräch zu kommen.

Die Interessenlage der Verbände und deren Träger waren sehr unterschiedlich sind und es gab auch erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Bundesamt. Dennoch waren die Gespräche, anders als in anderen Bundesländern, konstruktiv. Ziel war möglichst viele der geplanten 35000 Plätze für Thüringen zu besetzen. Zeitgleich wurden die Einsatzstellen des Zivildienstes verbandsübergreifend über den Wegfall des Zivildienstes und den in Planung befindlichen Bundesfreiwilligendienst informiert.

Am 1. Juli 2011 startet der BFD in Thüringen mit zunächst gerade 100 Freiwilligen. In der Öffentlichkeit und der Presse wurde der BFD zu Beginn sehr kritisch begleitet und gerade die Vertreter der Wohlfahrtsverbände äußern sich eher skeptisch, ob dieser „staatlich gesteuerte Freiwilligendienst“, gelingen kann. Im Bundestag und in den Landtagen, auch im Thüringer Landtag, gab es Anträge die sich kritisch mit dem BFD auseinandersetzten. Auf Bundesebene wurde um die Kontigentierung heftig gerungen und die direkte Verknüpfung mit den Jugendfreiwilligendiensten diskutiert. Dennoch fand der BFD bei der Bevölkerung immer mehr auf Zustimmung und gerade ältere Menschen sahen und sehen in Thüringen die Möglichkeit sich zu engagieren. Etliche  Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände schlossen sich in dieser Phase der Zentralstelle des Bundesamtes an, weil dort bereits Klarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen bestand.

Der BFD gewann bis Ende des Jahres 2011 an Dynamik und im November leisteten im Freistaat bereits 1.071 Freiwillige Dienst. Ein Kritikpunkt war da bereits positiv geklärt, dies war die Kindergeldfrage.

Aber trotz dieser Entwicklung öffnen sich noch nicht alle Verbände dem BFD, lehnen ältere Bewerber zum Teil ganz ab und verwiesen die Jungen auf das bekannte Format des FSJ.

Im Dezember 2011 waren bundesweit ca. 25 000 Freiwillige im Einsatz, davon 1.258 in Thüringen, der Großteil bei der Zentralstelle BAFzA. Da sich schon Ende des Jahres abzeichnete, dass die 35 000 Plätze perspektivisch nicht ausreichend sein würden, wurden Kontingente an die Zentralstellen verteilt und zwar nach einem Schlüssel, wie viele BFDler die einzelnen Zentralstellen zu diesem Zeitpunkt im Einsatz haben, bzw. Verträge vorlegen können. Das BAFzA erhielt danach ein Kontingent von ca. 12 000 Plätzen auf Bundesebene.

Ende des Jahres wurde dann auch ein weiterer Kritikpunkt abgearbeitet. Die Anrechnungsfreigrenze im Hartz IV – Bezug wurde auf 175 Euro angehoben. Vielleicht auch deshalb stieg im Januar 2012 die Zahl im Freistaat auf 1.677 Freiwillige. In Öffentlichkeit wurde seitdem von einer Erfolgsgeschichte gesprochen, die vorrangig dem Engagement der Träger zu danken sei. Von den Spitzen der Verbände wurde bereits zu dem Zeitpunkt ein größeres Kontingent von der Bundesregierung gefordert.

Es wurde unterstellt, dass der Bund sich Kontingente an den Verbänden vorbei „zugeschanzt“ hätte und der Einsatz in den kommunalen Einsatzstellen, weder arbeitsmarktneutral, noch den Merkmalen eines richtigen Freiwilligendienstes entsprechen würde. Wir werden heute über diesen Punkt miteinander diskutieren.

Allerdings kann ich dazu bereits anmerken, dass eine Verlagerung der Kontingente weg vom BAFzA und hin zu den Verbänden für Thüringen nach dem derzeitigen Verteilungsmuster nichts bringt, da auf  die 12.000 Plätze des BaFzA bundesweit zugegriffen werden kann und demnach möglicherweise nur andere Bundesländer profitieren würden. Dies ist bei den Stellen der Wohlfahrtsverbände ein ähnliches Verfahren.

Lassen sie mit im zweiten Teil etwas zu den Perspektive des BFD sagen. Im Bundesrat wurde letzte Woche ein Antrag einmütig beschlossen, den FdaG in das BFD-Gesetz zu integrieren und damit mehr Chancen für Ältere und Träger zu bieten. Der Gesetzentwurf wurde von Thüringen inhaltlich unterstützt, insbesondere mit Hinweis auf den Mindestzeitrahmen von 20 Wochenstunden bis maximal 40 Wochenstunden des Bundesfreiwilligendienstes, der dem Engagementwunsch von Seniorinnen und Senioren nicht gerecht wird. Der Freiwilligendienst aller Generationen verlangte demgegenüber lediglich einen Mindestzeitrahmen von 8 Wochenstunden. Vor dem Hintergrund des von der EU ausgerufenem „Europäischen Jahr des aktiven Alterns und Solidarität zwischen den Generationen (2012)“ ist insbesondere das verbindliche ehrenamtliche Engagement von Seniorinnen und Senioren gewünscht.

Die neuen Länder haben insgesamt ein besonderes Interesse an der Gesetzesänderung, da hier im Bundesfreiwilligendienst eine deutlich andere Altersstruktur als in den alten Bundesländern vorliegt. In Thüringen sind 20% der Bundesfreiwilligen unter 27 Jahren und 80 % älter, in den alten Bundesländern sind hingegen 85 % jünger und nur 15 % älter. Die größte Gruppe ist in Thüringen die Gruppe der 51 – 65 Jährigen mit 862 Bundesfreiwilligen. Hinzu kommen 97, die älter als 65 Jahre sind.

Der derzeit ältesten Freiwilligen in Thüringen ist Herr Hartmann aus Nordhausen (Jahrgang 1934) und gerade 78 Jahre alt geworden.

Seine Frau Gisela Hartmann, die an der heutigen Tagung teilnimmt, ist zwar „erst“ 73 Jahre alt, gehört aber auch zu den 5 ältesten Teilnehmern am BFD. Ab September haben wir dann in Thüringen sogar eine Bundesfreiwillige im Dienst die 80 Jahre alt ist. Respekt und Anerkennung ihnen allen!

Durch den Bundesratsgesetzentwurf soll der frühere Freiwilligendienst aller Generationen in seiner Ausgestaltung eins zu eins in die Regelung des Bundesfreiwilligendienstes übernommen werden. Vorstellbare und für mich die bevorzugte Variante wäre es alternativ gewesen, einzig im § 2 für die Altersgruppe der Seniorinnen und Senioren eine Mindeststundenzahl von 8 Stunden einzufügen.

Wir werden heute in den Workshops wichtige Themen besprechen. Dabei geht es um die Abgrenzung zum klassischen Ehrenamt und ob diese Abgrenzung nur von der Verbindlichkeit, der Stundenzahl und der Befristung abhängt.

Es wird zudem um die Abgrenzung zur Erwerbsarbeit und die Arbeitsmarktneutralität gehen. Und es geht um die Frage den Bildungsfaktor für die Bundesfreiwilligen zu stärken und um individuelle Angebote. Konzepte, wie es sie bei den Jugendfreiwilligendiensten und beim BFD für die unter 27Jährigen gibt, sind nicht automatisch übertragbar.

Aktuell haben wir in Thüringen 2.255 Teilnehmer im Einsatz und bereits über 2.800 Vereinbarungen bis in das nächste Jahr hinein. Die Caritas ist mit über 100 Einsatzstellen größter Träger unter den Wohlfahrtsverbänden dicht gefolgt von der AWO und der Parität. Größter Einzelträger bzw. größte Einsatzstelle ist das Klinikum Jena mit allein 70 Stellen. Überall gab es dabei bereits Erfahrungen mit dem Zivildienst.

Es engagieren sich aber auch viele neu im BFD, zum Beispiel die Mehrgenerationenhäuser mit derzeit 44 BFDlern. Im Bundesvergleich stehen wir gut da. Nur in NRW, Baden Württemberg, Niedersachen und Sachsen gibt es mehr Bundesfreiwillige. Auf die Zahl der Einwohner umgerechnet, gibt es in Thüringen sogar bundesweit die meisten Freiwilligen. Ein großes Ziel ist es diese Zahl und diesen Stand zu halten, was nur gemeinsam mit der LIGA gelingen kann. Partnerschaftliche Zusammenarbeit ist gefragt, um unsere momentan starke Ausgangsposition in Thüringen nicht zu schwächen.

Ich hoffe, dass die heutige Fachtagung dazu beiträgt, Vorurteile zu überwinden und nach neuen Wegen der Zusammenarbeit insbesondere bei der Bildung zu suchen. Als Beuaftragter für das Zusammenleben der Generationen bin ich in Thüringen für den Bundesfreiwilligendienst zuständig und werde gerne als Partner der Verbände fachlich den BFD begleiten und Probleme mit aus dem Weg räumen.

Rede zum 1. Treffen der Großelterndienste in Deutschland am 1. Juni 2012 in Erfurt

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank dafür, dass Sie als die Vertreterinnen und Vertreter der Großelterndienste aus ganz Deutschland nach Erfurt zum ersten gemeinsamen Treffen gekommen sind. Der ausdrückliche Dank für die Initiative und die Organisation gebührt Frau Dr. Fuchs und ihrem Team von der LEG Thüringen.

Heute Vormittag begann die Tagung in der Thüringer Staatskanzlei. An diesem historischen Ort traf 1808 Gothe auf Napoleon und wenn Sie heute in Thüringen zu Gast sind, darf der Bezug zu Goethe natürlich nicht fehlen. Der Dichterfürst schrieb die „Wahlverwandtschaften“ ohne etwas von den Großelterndiensten zu wissen. Dieses Werk ist allerdings bei näherer Betrachtung kein sehr passender Bezug zu unserem Thema, denn es hat recht tragische Züge, wovon wir bei den Großelterndiensten ja nun nicht ausgehen. Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln sind im Gegenteil ja oft von einer besonderen Leichtigkeit und Fröhlichkeit geprägt. Und natürlich gibt es dafür auch bei Goethe einen Beleg. In „Dichtung und Wahrheit“ schildert Goethe Erziehungsprinzipien des Vaters und fährt fort: „Vor diesen didaktischen und pädagogischen Bedrängnissen flüchteten wir gewöhnlich zu den Großeltern.“ Für die heutige Zeit wünsche ich mir auch, dass Kinder immer noch zu Orten flüchten können, wo sie sich unabhängig von allen Forderungen, Erwartungen und Zielen elterlichen Strebens angenommen fühlen. Solche Orte können auch die durch Großelterndienste vermittelten freiwilligen Beziehungen sein.

Als Beauftragter für das Zusammenleben der Generationen habe ich das heutige Treffen gerne unterstützt, so wie ich das auch beim ersten Thüringer Netzwerktreffen vor einem Jahr getan habe. Es gehört ja zu meinem ausdrücklichem Aufgabenfeld Projekte zu befördern, die das Zusammenleben der Generationen betreffen. Wenn wir heute über Generationenbeziehungen sprechen, geht es inzwischen um mehr, als nur die bestehenden innerfamiliären Beziehungen. Der demografische Wandel bringt es mit sich, dass wir in vielen Städten bis zu 30 Prozent Alleinerziehende haben, viele Patchworkfamilien und zunehmend Kinder, welche ohne regelmäßigen Kontakt zu ihren leiblichen Großeltern aufwachsen. Zwei Drittel der 15 – 20-Jährigen haben keinen oder nur wenig Kontakt zu über 60-Jährigen. Zweifellos ist diese Situation denkbar ungeeignet Vorbehalte und Altersklischees abzubauen, ein positives Altersbild zu vermitteln oder das Verantwortungsgefühl füreinander zu stärken.

Auf der anderen Seite leben viele Seniorinnen und Senioren ohne eigene Enkel, entweder weil sie zu weit entfernt wohnen oder den gemeinsamen Haushalt bereits verlassen haben oder gar keine da sind. Ältere Menschen haben jedoch häufig den Wunsch sich weiter zu engagieren und soziale Netzwerke zu knüpfen.

Es gibt verschiedene Patenschaftsformen, die dabei in den Blick genommen werden können. Familienpatenschaften sind ein Modell, welches in einer Reihe von Ländern verfolgt wird. Lernpaten gibt es ebenso wie Jobpaten. Als diesen Formen ist gemeinsam, dass es dabei um Hilfeformen für Kinder und Familien geht, die in der Regel relativ kurzfristig angelegt sind. Um etwas Langfristigeres geht es bei den Großelterndiensten. Sie organisieren Wahlverwandtschaften, die für beide Seiten vorteilhaft sind. Ältere Menschen wollen und können Wissen und soziale Kompetenzen weitergeben. Sie wollen die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern positiv beeinflussen und können ihnen eine zusätzliche vertrauenswürdige Bezugsperson sein. Zweifellos tun sie damit auch etwas gegen Alterseinsamkeit und können Erfüllung in der neuen Aufgabe finden.

Es gibt allerdings auch Grenzen für die Arbeit der Wahl- und Wunschgroßeltern. Sie können keine Sozialarbeiter sein, sie können und sollen Betreuungsangebote nicht ersetzen und sie können auch keine frühen Hilfen oder Hilfen zur Erziehung gemäß des Sozialgesetzbuches VIII bieten.

Es gibt Wünsche nach Unterstützung für die Großelterndienste, dies zeigte auch die heutige Tagung. Es geht den Großelterndiensten um Vernetzung – dazu wurde heute ein erster, wichtiger Schritt getan. Gerne werde ich als Generationenbeauftragter die Zusammenfassung der Tagungsergebnisse in gedruckter Form und deren Versand unterstützen. Es gibt den Wunsch nach Fortbildung und Qualifizierung für die Großeltern, ebenso wie für Familienpaten. In Thüringen haben wir zwei Stiftungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen können. Sowohl die Thüringer Ehrenamtsstiftung, als auch die Stiftung Familiensinn sind für eine solche Aufgabe prädestiniert. Ich werde dies in Gesprächen mit den beiden Stiftungen anregen.

Es wurde zudem gefragt, wo Andockstellen für die Großelterndienste sein könnten. Ich sehe da sowohl die bestehenden Familienzentren, als auch die Mehrgenerationenhäuser sowie die Eltern- Kind-Zentren als Möglichkeiten. Der Bundesfreiwilligendienst (BFD) und der darin einzufügende Freiwilligendienst aller Generationen (FdaG) kann bei der Arbeit ebenso unterstützend wirken, wie örtliche Seniorenbeiräte.

Durch Großelterndienste und andere Patenschaftsformen kann ein Geflecht an Generationsbeziehungen entstehen, das dem nahe kommt, was das afrikanische Sprichwort ausdrückt: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Hintergrund dieses Sprichwortes ist für mich kein defizitärer Ansatz von Erziehung. In dem Sinne, dass einzelne Eltern oder Erzieher damit überfordert wären und die Last der Erziehung eines Kindes auf möglichst viele Schultern verteilt werden müsste, entweder auf ein ganzes Dorf oder auf eine Schar von  Erziehungsberechtigten, Kindergärtnern, Erziehern, Lehrern, Sonderpädagogen, Therapeuten, Sozialarbeitern und Beratern bei der Bekämpfung der verschiedensten diagnostizierten Defizite. Hintergrund ist vielmehr, dass um ein vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft zu werden, ob nun in einer afrikanischen Dorfgemeinschaft oder andern Orts, sich ein Kind den ganzen Erfahrungsschatz dieses Sozialraums erschließen können sollte.

Eine Grunderkenntnis der neueren Neurobiologie lautet: Kinder kommen mit einer unglaublichen Lust am eigenen Entdecken und Gestalten zur Welt. Nie wieder ist ein Mensch so neugierig und so entdeckerfreudig, wie am Anfang seines Lebens. Unsere Aufgabe sollte es sein, dies am Leben zu erhalten und Kinder nicht durch Personen oder Umstände zu demotivieren und in Resignation zu treiben, sie nicht als ein Objekt der Betreuung und der verschiedensten Maßnahmen zu sehen.

Das sich entwickelnde Kind braucht Futter für sein Gehirn, und das beste Futter sind Beziehungen zu anderen Menschen, Beziehungen in denen es neue Seiten der Welt kennenlernt. Dieser andere Mensch kann ein Wahlverwandter sein, der dem Kind dabei hilft seine Potentiale und Anlagen entfalten zu können.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei ihrem Engagement und ich bitte Sie sehr herzlich, sprechen Sie darüber, wie viel Freude Ihnen dieses Engagement bei den Großelterndiensten macht. Dies kann und soll ausdrücklich ansteckend wirken bei Seniorinnen und Senioren, bei Freunden und Bekannten in Ihrem Umfeld.

 

Grußwort zur Grundsteinlegung der Seniorensiedlung in Tambach-Dietharz 4.5.2012

Laut allen Umfragen und Untersuchungen zum Wohnen im Alter wollen ältere Menschen so lang wie möglich selbstbestimmt in vertrauter häuslicher Umgebung leben. In Thüringen leben 97 % der 60-Jährigen und Älteren in privaten Wohnungen, d. h. nicht in einem Heim. Nun bieten aber nicht alle bisherigen Wohnungen die Voraussetzungen, die ein solches Wohnen auf Dauer weiter möglich machen. Daher sind ältere Menschen auch sehr daran interessiert in Alternative zum Pflegeheim seniorengerechten Wohnraum im sozialen Nahraum, also in der Stadt oder im Dorf, zu finden, der ihren Bedürfnissen besser entspricht.

Nach einer Untersuchung verändern nach dem 50. Lebensjahr noch 54,8 % der Thüringer ihre Wohnsituation. 21,5 % ziehen noch einmal um und 33,3% nehmen nach dem 50. Lebensjahr an ihrer Wohnung oder ihrem Haus noch größere Veränderungen vor, die mehr als 10.000 Euro kosten.

Wir haben in Thüringen auf Grund des Bevölkerungsrückgangs zwar eigentlich zu viel Wohnraum, es ist aber angesichts der Nachfrage oft der falsche Wohnraum. Viele der Bestandswohnungen stehen als Folge der Binnenwanderung „am falschen Ort“. Und die qualitative Zusatznachfrage älterer Mitbürger nach barrierefreiem bzw. barrierearmem Wohnraum lässt sich oft ebenfalls aus dem vorhandenen Bestand nicht befriedigen.

Für Thüringen wird laut einer jüngsten Untersuchung von einem Bedarf von bis zu 3.000 zusätzlichen seniorengerechten Wohnungen ausgegangen. Senioren- oder altengerechtes Wohnen ist kein fest definierter Begriff. Er bedeutet, dass die Wohnung bezüglich ihrer baulichen, gestalterischen und funktionalen Standards besonders alten und hochbetagten Menschen entgegenkommt. Dazu können z. B. Notrufe in der Wohnung, niveaugleichen Türschwellen, Handläufe, rutschfeste Beläge, Haustüren mit Gegensprechanlage und automatischem Türöffner, Haltegriffe im Bad, bodengleiche Dusche und höhenverstellbares WC gehören.

Und als Beauftragter für das Zusammenleben der Generationen lassen Sie mich auch anmerken, dass dort wo älteren Menschen keine Schwierigkeiten hinsichtlich eines Rollators oder Rollstuhls bereitet werden, auch junge Familien kein Problem mit einem Kinderwagen haben.

Als nächster Schritt nach der seniorengerechten Ausgestaltung des Wohnraums stellt sich die Frage nach dem Umfeld, z.B. nach Formen des betreuten oder Service-Wohnens. Als Minimalvariante im Bestand, meist von Innenstädten, kennen wir die Übernahme von Dienstleistungen für die älteren Bewohner durch einen angestellten Hausmeister oder Concierge, der als Ansprechpartner für alle praktischen Dinge des Alltags zur Verfügung steht. In einer weiter ausgebauten Form arbeiten Wohnungsunternehmen mit Wohlfahrtsverbänden zusammen. Hier kann die altengerechte Wohnanlage mit Tagespflege, oder mit einem ambulanten Pflegedienst, oder mit stationärer Pflege kombiniert sein. In Thüringen befinden sich viele Wohnanlagen dieses Typs auch im Eigentum der Wohlfahrtsverbände selbst, die so eine Lösung aus einer Hand anbieten können.

Besonders hohe Akzeptanz finden Angebote des betreuten Wohnens, die mit Begegnungsstätten kombiniert sind, die sich möglichst auch in die Nachbarschaft, in den sozialen Nahraum öffnen. Wie wichtig und anregend gerade für ältere Menschen Möglichkeiten der Begegnung, auch mit Vertretern anderer Generationen sind, erleben wir bei der großen Beliebtheit, der sich die sogenannten Mehrgenerationenhäuser als offene Begegnungsstätten für Jung und Alt erfreuen.

Weitere Formen des seniorengerechten Wohnens sind Wohngemeinschaften für Ältere, entweder selbst mit Freunden und Gleichgesinnten organisiert, oder in Verantwortung von Wohnungsunternehmen oder Wohlfahrtsverbänden. Hier wird zum Teil aber auch noch die Verabschiedung des Landesheimgesetzes abgewartet, da rechtliche Unsicherheiten in der Abgrenzung zu stationären Einrichtungen befürchtet werden.

Andere Formen des seniorengerechten Wohnens sind das gemeinschaftliche Wohnen Älterer in einem Haus oder in der Nachbarschaft sowie das gemeinschaftliche Wohnen für Jung und Alt. Ein Beispiel für das Mehrgenerationenwohnen ist das Projekt „Gemeinsam statt einsam. Generationswohnen in Arnstadt-Ost“. Ausgehend von einer Gruppe älterer Damen einer Hausgemeinschaft wurde ein gleichnamiger Verein gegründet, der die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Arnstadt überzeugte, zwei leer stehende Wohnblöcke aus den 60er-Jahren umzubauen und zu modernisieren. Entstanden sind 48 barrierefreie und 3 behindertengerechte Wohnungen mit Balkon oder Terrasse. Jung und Alt, Singles und Familien wohnen hier selbstbestimmt in guter Nachbarschaft bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Selbständigkeit zusammen. Zudem stehen Gemeinschaftsräume, eine große Terrasse und die Freifläche zwischen den beiden Häusern zur gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung. In eine kleine Gewerbeeinheit ist ein privater Pflegedienstleister mit seinem Stützpunkt eingezogen.

Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten, wir leben in einer pluralen Welt. Einigkeit sollte nur in einem bestehen, dass wir Seniorinnen und Senioren nach Kräften darin unterstützen, selbstbestimmt ein aktives Leben in Würde führen zu können. 2012 ist das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen. Es soll den Blick auf die vielen Möglichkeiten der aktiven Teilhabe, des Dialogs, des Ausgleichs und der Solidarität zwischen den Generationen lenken. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bietet das Europäische Jahr 2012 eine gute Chance, dass öffentliche Bewusstsein in Thüringen dafür zu schärfen, wie Seniorinnen und Senioren angesichts besserer Gesundheit und gestiegener Lebenserwartung aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

Ein Wohnumfeld, dass dies ermöglicht und unterstützt ist dabei eine wesentliche Voraussetzung. Ich wünsche der Seniorensiedlung in Tambach-Dietharz alles Gute, unfall- und verletzungsfreies Bauen für die Bauleute, den Mitarbeitern des Diakoniewerkes alles Gute und zufriedene Mieter und Bewohnerinnen und Bewohner!

„Europäisches Jahr 2012 für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“

Redebeitrag bei der Regierungsmedienkonferenz am 17. Januar 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Seniorenmitwirkungsgesetz wurde heute von der Landesregierung beschlossen. Über das wichtige Signal zum Beginn des Jahrs des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen freue ich mich. Es zeigt, dass es tatsächlich um aktive Mitwirkung geht und nicht nur um Angebotsgestaltung für Seniorinnen und Senioren geht.

Aktives Altern ist laut Weltgesundheitsorganisation ein Prozess, in dem die Möglichkeiten im Hinblick auf Gesundheit, Teilhabe und Sicherheit optimiert werden, um die Lebensqualität der alternden Personen zu verbessern. Durch aktives Altern können die Menschen ihr Potential für ihr physisches, soziales und geistiges Wohlergehen im Laufe ihres ganzen Lebens ausschöpfen und am Gesellschaftsleben teilhaben, und gleichzeitig werden sie in angemessener Weise geschützt, abgesichert und betreut, sollten sie dies benötigen. Daher erfordert die Förderung des aktiven Alterns einen mehrdimensionalen Ansatz sowie Mitverantwortung und dauerhafte Unterstützung aller Generationen.

Das Europäische Jahr 2012 für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen baut auf dem Vermächtnis des Europäischen Jahres 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung und des Europäischen Jahres 2011 der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft auf, und dem entsprechend sollten die Synergien zwischen diesen Europäischen Jahren gefördert werden. 2013 wird das Jahr der Bürgerinnen und Bürger sein.

An die Themen „Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung“ und „Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft“ knüpfen besonders die Akzentsetzungen in den neuen Bundesländern an. Wir haben hier Jahrgänge, in denen nicht wenige bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, ohne vor Erreichen des Rentenalters voraussichtlich noch einmal den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu schaffen. Aber gerade sie dürfen sich nicht abgeschrieben fühlen, sondern müssen in das gesellschaftliche Leben eingebunden werden. Freiwillige Übernahme von ehrenamtlichen Aufgaben kann hier sehr hilfreich sein und das Europäische Jahr des aktiven Alterns ist geeignet dafür einen zusätzlichen Motivationsschub zu leisten. Selbstverständlich sind wir auch in den neuen Bundesländern daran interessiert, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre letzten Berufsjahre sowie den Übergang in das Rentenalter bei guter Gesundheit bewältigen, in den alten Bundesländern wird dies allerdings vielfach als der Hauptschwerpunkt des europäischen Jahres gesehen. Beiden Schwerpunktsetzungen, Gesundheit und Teilhabe, ist jedoch gemeinsam, dass sie nicht nur bei den Seniorinnen und Senioren im höheren Lebensalter ansetzen, sondern davon ausgehen, dass für ein aktives Alter bereits die Einstiegsphase in das Rentenalter von hoher Bedeutung ist und bereits hier die Weichen richtig gestellt werden müssen.

Morgen wird die europäische Auftaktveranstaltung in Kopenhagen sein und am 6. Februar in Berlin die bundesweite Auftsaktveranstaltung. Die geplante Thüringer Eröffnungsveranstaltung Ende März hat Frau Ministerin Walsmann bereits erwähnt. Daran werden sich noch viele Veranstaltungen auf verschiedenen Ebenen anschließen.

In der ersten Jahreshälfte werde ich eine Fachtagung gemeinsam mit der Liga der Wohlfahrtspflege ausrichten, die sich mit den Chancen des Bundesfreiwilligendienstes insbesondere für die Vorruheständler und Senioren beschäftigt. Darüber hinaus wird es einen Fachkongress zum Thema Gesundheit im Seniorenalter geben, der für die zweite Jahreshälfte geplant ist. Bereits im Februar wird es zum Europäischen Jahr 2012 in Erfurt und in Nordhausen zwei Veranstaltungen zur Vielfalt des Alterns und des gesellschaftlichen Engagements geben.

Insbesondere die Entwicklung im ländlichen Raum vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen einschließlich der Land-Stadt-Wanderungs-bewegungen wird ein Themenschwerpunkt von Veranstaltungen mit Blick auf die ältere Generation sein. Vorgesehen sind weiterhin Veranstaltungen zum Fachkräftebedarf und der Einbeziehung älterer Arbeitnehmer. Zu deren Vorbereitung gibt es Kooperationsgespräche mit Wirtschaftsverbänden. Die ESF-Jahreskonferenz im Sommer 2012 wird ihren Schwerpunkt auf ältere Beschäftigte legen, voraussichtlich unter dem Motto: „Ältere Beschäftigte – zu jung um alt zu sein“.

Für den September plane ich zusammen mit einem Seniorenverband eine Fachtagung zum Thema Generationenarbeit. In Zusammenarbeit der Serviceagentur Demografischer Wandel mit dem Thüringer Netzwerk Demografie ist eine Veranstaltung zur Bedeutung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Installierung von betrieblichen Demografieberatern in kommunalwirtschaftlichen Unternehmen vorgesehen.

Für mich gehört es auch zum Jahr des aktiven Alterns möglichst vielen Thüringer Seniorinnen und Senioren die Möglichkeiten, die das neue Seniorenmitwirkungsgesetz bietet, näher zu bringen. Auch hierzu wird es mit Sicherheit eine Reihe von Veranstaltungen geben.

Anfang Oktober letzten Jahres habe ich sowohl öffentlich als auch durch direkte Ansprache mögliche Interessenten auf die Projektausschreibung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Europäischen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen 2012 hingewiesen. Die Projektausschreibung stieß in Thüringen auf großes Interesse, in dessen Ergebnis 24 Anträge aus Thüringen gestellt wurden. Ausgewählt wurden schließlich deutschlandweit 46 Projekte. Ich freue mich, dass Thüringen unter den 16 Bundesländern mit vier ausgewählten Projekten überdurchschnittlich gut abgeschnitten hat. Im Einzelnen sind dieses Projekte des AWO Landesverbandes Thüringen, der Fachhochschule Jena, des Offenen Hörfunkkanals Eisenach e.V. und des PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverbandes Thüringen e.V. ausgewählt, darunter auch die vier genannten aus Thüringen. Ich werde diese Projekte begleiten. Aber auch die Vorhaben der anderen Antragsteller werde ich mir näher anschauen und je nach Bedarf und Möglichkeiten prüfen, inwieweit eine Unterstützung auf Landesebene möglich ist.

2012 ist nicht nur das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen, sondern durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde das Jahr 2012 zum „Jahr gegen Altersdiskriminierung“ erklärt. Ich denke, dass dies sehr gut zusammen passt, denn gerade die Betonung des aktiven Alterns wird dabei helfen, die leider sehr tief sitzenden Altersklischees, auch bei Älteren selbst, zu bekämpfen und zu positiveren Bildern vom Altern zu finden, als sie vielfach vermittelt werden.

Dafür ist es wichtig, dass die Solidarität zwischen den Generationen gelebt wird, dass verschiedene Generationen auch außerhalb der Familie zusammenfinden können. Ein gute Möglichkeit dafür sind die Mehrgenerationenhäuser. Informationen dazu können Sie einer von mir herausgegebenen Broschüre über die Thüringer Mehrgenerationenhäuser entnehmen, die ich Ihnen mitgebracht habe und die auch über die Homepage des Generationenbeauftragten zur Verfügung steht.

 

Pages:  1 2 3 4